Die Sperrstunde in Deutschland

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Die letzte Bierrunde noch vor Mitternacht? Was für viele Kneipengäste auf dem Land auch vor der Corona-Pandemie alltäglich war, schien in Berlin und anderen Metropolen schon längst in die Sphäre der Unmöglichkeiten zu gehören. Und sollte doch einmal ein Barkeeper auf die letzte Bestellung gedrängt haben, war in der Nähe sicher noch ein anderer Zapfhahn in Betrieb. Oder ein Spät-Kiosk mit nicht minder ausschweifendem Sortiment für den nächtlichen Durst.

Doch das Coronavirus stellt alles auf den Kopf. Nach dem rasanten Anstieg der Infektionszahlen müssen einige Großstädter in Deutschland vermeintlich längst in die Geschichte verbannte Einschränkungen erfahren. Nicht zum ersten Mal dieses Jahr: Nach dem Herunterfahren des öffentlichen Lebens im Frühjahr, in dem auch die Gaststätten und Bars dicht machten, waren die Wiedereröffnungen häufig verknüpft mit Schließzeiten. In der Hauptstadt zum Beispiel wurden erst Mitte Juni Restaurants und Kneipen wieder länger als bis 23 Uhr geöffnet.

RUND-UM-DIE-UHR-VERSORGUNG AN DER SPREE

Eigentlich schläft Berlin nie. Dank Kneipen, Spätis, Imbissen oder Dönerläden können sich auch Nicht-Clubgänger normalerweise gut und gern durch die ganze Nacht versorgen. Seit rund sieben Jahrzehnten wird im Unterschied zu vielen anderen Bundesländern an der Spree ohne Unterbrechung bis in den Morgen gefeiert - zumindest im Westen.

1949 wurde hier die Sperrstunde aufgehoben. Vorausgegangen war ein Spiel der politischen Systeme: Im russischen Sektor waren die Biertheken immer eine Stunde länger offen. «Wenn wir um 21 Uhr schlossen, waren im Ostteil die Kneipen bis 22 Uhr auf. Verlängerten wir auf 22 Uhr, schlossen die Ost-Kneipen um 23 Uhr», erinnerte sich einmal der mittlerweile gestorbene damalige Obermeister des Hotel- und Gaststättenverbandes, Heinz M. Zellermayer. Offenbar genehmigten sich einige Gäste hin und wieder lieber den Drink auf sozialistischem Terrain. Daher hoben die Westalliierten die Polizeistunde auf.

Nach und nach zog das Non-stop-Leben internationale Stars wie David Bowie oder Iggy Pop an. Während quasi im Rest der Bundesrepublik nachts die Lichter ausgingen, wurde West-Berlin zum Feier-Eldorado. Legendäre Clubs wie der Dschungel oder das Big Eden öffneten.

Im Osten wachten die DDR-Oberen auf die Einhaltung der Polizeistunde, um «der werktätigen Bevölkerung eine ungestörte Nachtruhe zu sichern», wie es den entsprechenden Verordnungen von 1955 und 1980 heißt. An Werktagen war um Mitternacht Schluss, an Wochenenden um 1 Uhr. Ausnahmen gab es etwa in Bahnhofskneipen oder Hotelbars, wenn auch mit Alkoholverbot. Auch sogenannte Nachtdiscos konnten mit Sondergenehmigungen bis in den frühen Morgen öffnen.

IM RESTLICHEN DEUTSCHLAND

Das deutsche Gaststättengesetz erlaubt es den Landesregierungen oder örtlichen Behörden, für Schank- und Speisewirtschaften eine Sperrzeit festzusetzen. Zwar ist diese mittlerweile in fast allen Bundesländern auf die Putz- oder Kehrstunde zwischen 5 und 6 Uhr morgens reduziert. Nur in Baden-Württemberg müssen Kneipen unter der Woche zwischen 3 und 6 Uhr die Rollläden schließen, in Bremen schon um 2 Uhr.

Und dennoch kann es sein, dass Nachtschwärmer mancherorts länger auf dem Trockenen sitzen. Städte wie Passau oder Deggendorf führten zum Beispiel teilweise eine verlängerte Sperrstunde nach 2010 wieder ein - obwohl auch in Bayern die Regelung bereits auf eine Kehrstunde reduziert war. Gastronomen wiederum gingen gegen solche Regeln vor und setzten sich zum Teil vor Gericht durch.

In Bamberg zum Beispiel gilt allerdings noch heute: Werktags müssen um 2 Uhr die Schotten dicht gemacht werden, am Wochenende um 4 Uhr - auch in Discos und Clubs. Häufig wird als Grund der Verlängerung von Sperrzeiten etwa jugendliches Komasaufen, zu viel Lärm und Schlägereien in den Innenstädten angegeben. Forscher der Uni Bamberg und der TU Dresden stellten allerdings einmal fest, dass die Maßnahmen kaum Einfluss auf die nächtliche Kriminalität hätten.

WENN DER NACHTWÄCHTER KOMMT

Dabei ist gerade das Thema Sicherheit seit Jahrhunderten eng verknüpft mit der Sperre. Früher setzte in der Regel der Nachtwächter die sogenannte Polizeistunde durch: Dann wurden die Stadttore geschlossen und das Leben von der Straße in die Wohnhäuser verlegt. Später - mit dem Aufkommen der industriellen Alkoholherstellung - sollte mit der Maßnahme der Vollsuff unter den Arbeitern unterbunden werden, die nach der Schicht gern mal das spärliche Gehalt lieber an der Theke ließen als bei der Familie daheim.

In Berlin der Nachkriegszeit war das aber offenbar kein Thema mehr. «Woanders gibt's ne Sperrstunde, bei uns die Müllabfuhr», sangen Seeed in «Dickes B». Mit Corona muss man sich aber womöglich nun musikalisch wieder umstellen. «Ja, so spät, Herr, die Zeit vergeht, Herr, schließlich muss ein Ober auch amoi schlofn gehn», trällerte einst der Österreicher Hans Moser. Das Lied: «Sperrstund is». (dpa)


 

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