Omas fast vergessene Rezepte: Spitzenköche auf Recherche im Altersheim

| Gastronomie Gastronomie

Die Globalisierung grüßt auch kulinarisch. Wir futtern Falafel, schlemmen indisches Curry, kosten Sushi und knabbern mexikanische Tacos. Einflüsse aus vielen Ländern der Welt haben seit den 60er-, 70er-Jahren auch das Kochen zu Hause verändert. Wer seinen Kindern heute Pizza und Burritos auftischt, hat kaum das Gefühl, ausgefallene Gerichte zu servieren.

Aber wer hat gekocht, wenn «Böfflamott», «Leiterchen mit Beulchens» oder «Errötetes Mädchen» gereicht werden? Menschen unter 50 Jahren dürften ratlos sein. Diese Worte muten so exotisch an, wie einst Gambas und Crevetten für ihre Eltern etwas ganz Besonderes waren. Hinter den klingenden Namen verbergen sich fast vergessene Rezepte.

Dass gemeinsames Essen Menschen aus verschiedenen Kulturen, Schichten und Generationen einander nahebringt, ist auch eine zentrale Idee, die Manuela Rehn und Jörg Reuter umtreibt. Die Inhaber des Berliner Lebensmittelgeschäftes «Vom Einfachen das Gute» haben ein besonderes Kochbuch entwickelt. Die Rezeptsammlung «Unser Kulinarisches Erbe» trägt «Lieblingsrezepte der Generation unserer Großeltern» zusammen.

Böfflamott - der Vorgänger des Sauerbratens

Um das geballte Fachwissen der Seniorinnen und Senioren zu sichern, organisierten Rehn und Reuter Besuche von ausgezeichneten Köchinnen und Köchen in Altenheimen in elf verschiedenen Regionen des Landes. Ihre Mission: Das Wissen der Großelterngeneration zusammenzutragen, ihre Kenntnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Was also versteckt sich hinter «Böfflamott»? Man ahnt es, es ist die bayerische Variante des «Boeuf á la mode», einem Rinderschmorbraten.

Einst gehörte er zu den beliebtesten Sonntagsgerichten in Bayern, wurde dann nach und nach vom einfacheren Sauerbraten abgelöst. Denn «Böfflamott» ist etwas aufwendiger und verlangt mehr Zeit. Für das Original wird ein gut abgehangenes Stück Ochsenfleisch, am besten Ochsenschwanz, benötigt. Das wird vier Tage lang mariniert - in angeröstetem und karamellisiertem Gemüse, Rotwein und Weinbrand sowie Rotweinessig.

Ebenfalls Zeit und noch dazu die Liebe zum deftigen Schmaus, verlangen die «Leiterchens mit Beulchens» aus der Taunusregion. «Leiterchens» sind gepökelte Schweinerippchen, die gemeinsam mit Markknochen, Karotten, Knollensellerie, Petersilienwurzel, Zwiebeln und Lauch geschmort werden. Begleitet werden sie von «Beulchens», also von Lauchklößen, die aus mehligkochenden Kartoffeln, Zwiebeln, Lauch, gepökelter, geräucherter und gedörrter Schweinerippe in Handarbeit gezaubert werden.

Leichter kommt die zartrosa Nachspeise aus der Gegend um Münster (Nordrhein-Westfalen) daher. Das «Errötete Mädchen» in der Dessertschale vereint Buttermilch und Preiselbeeren, eingedickt mit Gelatine.

Spitzenköche auf Rezeptrecherche im Pflegeheim

Rehn und Reuter wollen ihr Buch als «Spurensuche der Heimatküche unserer Großelterngeneration» verstanden wissen. Für die Rezeptrecherche holten sie sich Expertise von Sternekoch Andreas Rieger, der auch im Berliner Restaurant «einsunternull» kocht.

Gemeinsam starteten sie dann die Tour in die Küchen von Senioreneinrichtungen. Begleitet von jeweils einer Spitzenköchin oder einem Spitzenkoch aus der Region. Deren Fachwissen war gefragt, um die Ursprünge für besondere Zubereitungen und Essgewohnheiten zu erklären. «Und um eine Brücke zu einer modernen regionalen Küche zu schlagen», sagt Manuela Rehn. «So ist ein Werk entstanden, das altes Wissen bewahrt und weitergibt.»

«Regionale, saisonale und traditionelle Gerichte mit teils langen Garzeiten und fast vergessenen Zutaten sind seit einigen Jahren aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt worden», meint Jörg Reuter. «Sie finden auch Einzug in die Spitzengastronomie.» Wie etwa bei Micha Schäfer, Küchenchef im Berliner «Nobelhart & Schmutzig», der sich von «Omas Rezepten» inspirieren lässt.

Seine Küche setzt ausschließlich auf regionale Produkte. «Das ist eine Küche, die sich an der Verfügbarkeit orientiert», sagt er. «Was man schmeckt und wahrnimmt, hat auch viel damit zu tun, woher man kommt und wie man bisher in seinem Leben gegessen hat.»

Das Geheimnis hinter einfach geraspelten Kartoffeln

Viola Lehmann-Heinrich wurde von Micha Schäfer befragt, wie und was sie früher kochte. «Das Interesse an unserem Wissen und an unseren Erfahrungen hat uns stolz gemacht», erklärt sie. Lehmann-Heinrich besucht als Tagespflege-Gast das «Haus am Kalksee», ein Seniorenpflegeheim im brandenburgischen Rüdersdorf.

«Beim gemeinsamen Zubereiten von Mahlzeiten geht es um viel mehr als lediglich frisches Essen. Es ist gut, etwas mit den eigenen Händen zu tun und dabei zu reden», sagt die Seniorin. Zuckerkuchen, Schmorgurken, Kohlrouladen, Hühnerfrikassee mit Rosinen - das sind die Leibgerichte, die aus Rüdersdorf in die Rezeptsammlung eingeflossen sind.

«Und die Funzelsuppe - das ist wirklich ein Geheimtipp», verrät Viola Lehmann-Heinrich. Das Rezept stammt aus der Nachkriegszeit, als die Menschen bitterarm waren. Beigesteuert habe es Gudrun Henf, eine inzwischen verstorbene Mitbewohnerin. «Es waren damals tatsächlich einfach geraspelte Kartoffeln, die in Wasser aufgekocht wurden. Ein karges Mahl, das für sie aber trotz aller Bescheidenheit mit schönen Erinnerungen verbunden war», weiß die Kochfreundin.

«Unser kulinarisches Erbe: Lieblingsrezepte der Generation unserer Großeltern», Jörg Reuter und Manuela Rehn, Becker Joest Volk Verlag, 300 Seiten, 29,95 Euro, ISBN-13: 978-3954531851.

Von Katja Wallrafen, dpa


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Aktuelle Daten von OpenTable beleuchten die Entwicklungen der deutschen Gastronomiebranche im kommenden Jahr. Im Mittelpunkt stehen der Wunsch nach gemeinsamen Erlebnissen, die Bereitschaft für Spontanität und ein anhaltendes Wachstum bei speziellen Anlässen.

Der Harzer Kreistag hat einstimmig über die Vergabe der Bewirtschaftung von Hotel und Gastronomie auf dem Brocken entschieden. Demnach ist Landrat Thomas Balcerowski (CDU) beauftragt, mit einem Göttinger Restaurantketten-Betreiber über einen Gewerbepachtvertrag zu verhandeln, teilte ein Landkreissprecher am Abend mit. 

Reserviert und dann einfach weg? Für Gastronomen sind unentschuldigte "No-Shows" mehr als nur eine Lappalie – sie bedeuten massive Umsatzeinbußen und weniger Trinkgeld für das Personal. Eine Umfrage zeigt, wie weit verbreitet das Problem ist und welche drastischen Maßnahmen Gastwirte jetzt ergreifen.

Steigende Kosten, erhöhte Komplexität und ein sich wandelndes Gästeverhalten setzen deutsche Cafés zunehmend unter Druck. Ein neuer Business-Guide von SumUp zeigt die notwendigen Strukturen für wirtschaftliche Stabilität im Jahr 2026.

Ein ungewöhnliches Diebesgut lockt in Deutschland kriminelle Banden an - geschädigt werden vor allem Entsorger. Die Verbrecher haben es laut dem Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) auf alte Speisefette und Öle aus Restaurants abgesehen. 

Landesweit streiken Beschäftigte der Kaffeehauskette in den USA. Nach Vorwürfen zu Verstößen gegen Arbeitszeitgesetze einigt sich der Konzern nun auf eine Entschädigung in New York.

Die IHG-Marke Kimpton hat ihren jährlichen "Culinary + Cocktail Trend Forecast" für 2026 veröffentlicht. Darin skizzieren kulinarische Experten und Mixologen die wichtigsten Entwicklungen, die die Gastronomieszene im kommenden Jahr prägen sollen.

Am 24. November 2025 nahmen die Technische Universität Dresden und die SLUB Dresden fünf weitere herausragende Kreationen der Kochkunst in das Deutsche Archiv der Kulinarik auf. Die umfassenden Dokumentationen dieser Gerichte wurden von dem Gourmetkritiker Jürgen Dollase erstellt und übergeben.

Wegen seiner vielen Altstadt-Kneipen rühmt sich Düsseldorf als «längste Theke der Welt». Statistisch belegt ist zumindest ein Spitzenplatz in der NRW-Gastronomie. Wie schneidet der Rivale in Köln ab?

Die Gewinner des Deutschen Kochbuchpreises 2025 stehen fest. Bei der fünften Verleihung in Hamburg wurden am 26. November die besten Kochbücher in 35 Kategorien ausgezeichnet. Dabei dominierten mehrere Sterneköche die Fachjurys, während eine Content Creatorin als beste Newcomerin geehrt wurde.