«Eine steile Lernkurve»: Wie Halal-Produkte den Mainstream erobern

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Er ist ein Bruder des christlichen Adventskalenders, aber man darf ihn nicht schon am frühen Morgen öffnen. Mit dem «Iftarlender» - benannt nach dem islamischen Abendessen Iftar während des an diesem Donnerstag beginnenden Fastenmonats Ramadan - können Kinder (und sicher auch so mancher hungrige Erwachsene) dem Fest des Fastenbrechens Ende Mai jeden Tag ein bisschen näher kommen. Die Firma Honeyletter hat den «Ramadan-Countdown-Kalender» im Programm. Hinter den 30 Türchen verbergen sich Dattelpralinen, umhüllt von belgischer Schokolade. Nach Sonnenuntergang kann täglich ein wenig genascht werden.

Die Hersteller verstehen den «Iftarlender» als «Zeichen kultureller Symbiose». Er ist aber nur eines von einer immer größeren Zahl an Produkten, die nach islamischen Vorschriften erlaubt («halal») sind. In den vergangenen Jahren hat sich die Branche stark weiterentwickelt.

Es ist ein ausgewachsener Markt, der nicht mehr auf Beispiele aus dem Lebensmittelladen oder ausschließlich muslimische Kundschaft begrenzt ist. Und es ist ein globales Geschäft, in dem es einen Wettstreit um nationale Zertifizierungen, Standards und Milliardenumsätze gibt.

Im März war in Hannover die erste Halal-Messe Deutschlands geplant. Wegen der Corona-Krise verschob man die Schau. Schon das Programm der rund 60 Aussteller zeigt aber die Bandbreite. Christoph Schöllhammer war bei der Deutschen Messe AG ein Ideengeber. Der Leiter der «Halal Hannover» lebte in der Türkei, wurde Liebhaber der dortigen Küche. «Hier gab es damals im Supermarkt noch keine Halal-Ecke», erzählt er.

Auch manche Menschen, die sich nicht explizit auf religiöse Gründe berufen, essen und leben mittlerweile halal. «Es ist nicht nur auf eine Klientel beschränkt, die sich islamkonform ernährt», sagt Messe-Vorstand Andreas Gruchow. Natürlich bildeten Muslime die wichtigste Kundengruppe und sie setzten viele der neuen Trends. «Aber es geht generell um sich bewusst ernährende Menschen.»

Tilman Brunner, Leiter Internationales bei der IHK Hannover, sieht das ähnlich: «Es ist ein Qualitätssiegel.» Seit 2011 gibt es eine Arbeitsgruppe «Halal & Koscher», heute seien 120 Firmen aktiv dabei. «Viele stellen auch Koscherprodukte her, da die Anforderungen oft ähnlich sind.» Eine Schätzung der Umsätze sei schwierig, weil der Markt nicht so einfach abgrenzbar ist. Aber das Halal-Interesse zeige generell «eine steile Lernkurve», so Gruchow. In Deutschland liegt das Marktpotenzial laut Messe AG bei fünf Milliarden Euro pro Jahr.

Lebensmittel und Getränke: Der «Iftarlender» steht für eine ganze Reihe von Süßwaren. Bekannt für Halal-Standards ist außerdem Fleisch, wobei - neben dem Verbot von Schwein - bestimmte Schlachtvorschriften einzuhalten sind. Diese sind unter Tierschützern freilich auch umstritten, weil bei der Schächtung selbst oft nicht betäubt wird.

Eine Tochtermarke von Bifi wollte auf der Messe in Hannover zertifizierte Rinderwürstchen zeigen. Viele kennen die Knoblauchwurst Sucuk. Es gehe teilweise um die gesamte Wertschöpfungskette, erklärt Brunner: «Wenn ich eine Halal-Tiefkühlpizza produzieren will, muss ich den passenden Käse, die passenden Gewürze und noch mehr haben.» Auch bei Nahrungsergänzungsstoffen und Getränken wächst das Angebot. So kommt ein Halal-Energydrink in durchsichtigen Dosen daher - das soll maximale Transparenz über die Inhaltsstoffe symbolisieren.

Kosmetika und Medikamente: Es darf in der Regel kein Alkohol zum Einsatz kommen, weder als Inhaltsstoff noch in der Produktion. Wasserlösliche Nagellacke seien außerdem mit der Gebetswaschung der Frau vereinbar, weil so ein vollständiger Kontakt mit dem Wasser möglich ist, wie die Theologin Asmaa El Maaroufi von der Uni Münster erklärt. «Auch bei Reinigungsmitteln wird das ein Thema», so Brunner. «Alles, womit ich in Berührung komme, kann halal-relevant sein.»

Tierversuche sind bei der Entwicklung von Produkten tabu. In der Pharmabranche stehen Halal-Verfahren derweil noch eher am Anfang. Dort sehen viele Verbraucher die Regeln El Maaroufi zufolge aber entspannt: «Gestattet ist oft, was medizinisch notwendig ist.»

Tourismus: Halal-konformer Urlaub spricht ebenfalls schon etliche Nichtmuslime an. Es geht darum, die Ferien als Zeit innerer Einkehr, Achtsamkeit und Einheit mit der Familie zu sehen. Spezielle Angebote für Eltern und Kinder haben Veranstalter ebenso im Programm wie die klassische Pilgerreise. Muslime selbst buchen laut El Maaroufi meist, um auch im Urlaub ihren Alltag unbeschwert fortführen zu können.

Banken und Geldanlage: An islamischen Regeln orientierte Finanzdienstleister fassen in Deutschland vermehrt Fuß. Bei Bankgeschäften müssen sie das Zinsverbot berücksichtigen, genauso das Spekulationsverbot und den Ausschluss etwa von Glücksspiel- oder Waffenkonzernen aus Geldanlage-Fonds. Einzelne Lehrmeinungen unterscheiden aber beispielsweise zwischen Soll- und Habenzinsen.

Verschiedene Definitionen: Trotz einiger fast universell anerkannter Vorschriften gibt es in unterschiedlichen Ländern und Rechtsgutachten verschiedene Vorstellungen dessen, was genau halal ist. Ursprünglich ging es um Handlungen, nicht um Produkte, erklärt El Maaroufi. «Inzwischen hat sich der Begriff sehr weit geöffnet», sagt sie. «Das sieht man etwa bei verschiedenen Zertifizierungen von Halal-Fleisch.»

Marktmacht und internationaler Handel: Viele Anbieter verkaufen auch ins Ausland. Deutsche Fleischriesen wie Tönnies und Wiesenhof oder der Aromen-Hersteller Symrise haben Halal-Sortimente. «Drei Viertel unserer Mitglieder exportieren», sagt Brunner. «Und der Austausch ist wichtig.» Indonesien könne etwa andere Regeln haben als die Vereinigten Arabischen Emirate. «Da geht es auch um Marktmacht.» Manche Staaten könnten Standards als Barriere nutzen, um die Weltmarkt-Konkurrenz draußen zu lassen. Doch die Chancen seien groß, so Gruchow: «Auch Indien und Malaysia sind Milliardenmärkte.»

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