Bürokratie im Gastgewerbe: Viel Lärm um zu viele Zettel – und was die Politik jetzt machen will
Ob HACCP-Konzepte, Temperaturdokumentation im Kühlraum oder arbeitsmedizinische Vorsorgekarten – das Gastgewerbe ist mit einem kaum noch zu überblickenden Wust an Dokumentationspflichten konfrontiert. Besonders kleine und mittelständische Betriebe ächzen unter der Bürokratie. Doch es tut sich etwas: Ein Praxischeck des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bayerischen Staatsregierung zeigt, wo Entlastung möglich ist – und wie Bürokratieabbau im Alltag tatsächlich funktionieren kann.
Was war der Anlass?
Im Herbst 2024 initiierte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gemeinsam mit dem Bürokratieabbaubeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Walter Nussel (MdL), einen sogenannten „Praxischeck“ speziell für das Gastgewerbe. Ziel: Entlang realer Betriebsabläufe die größten bürokratischen Belastungen zu identifizieren und konkrete Maßnahmen zur Entlastung zu entwickeln.
Dabei ging es nicht um Wunschdenken, sondern um lösungsorientierte Workshops mit Hoteliers, Gastronomen, Behördenvertretern, DEHOGA, IHKs sowie der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN). Im Fokus: Hygiene, Allergenkennzeichnung, Arbeitsschutz, Brandschutz und Dokumentationspflichten.
Das Ergebnis: Bürokratie trifft Realität
Was die Branche schon lange weiß, wurde im Praxischeck schwarz auf weiß bestätigt: Die Bürokratie ist zu kleinteilig, zu komplex und häufig schlicht überzogen. Besonders kritisch: Die Vielzahl paralleler Pflichten, die sich oft überschneiden – oder sich sogar gegenseitig blockieren. Aus Sorge, gegen Vorschriften zu verstoßen, übererfüllen viele Betriebe ihre Pflichten. Das kostet Zeit, Geld und Nerven.
Die wichtigsten Stellschrauben zur Entlastung – und was jetzt passieren soll
1. HACCP: Weniger Papier, mehr Praxisverstand
Die schriftliche Ausarbeitung eines HACCP-Konzepts (Gefahrenanalyse) kann in Bayern bei unauffälligen Betrieben künftig entfallen – sofern sie die Hygieneregeln nachweislich einhalten. Der Grundsatz: „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“ reicht, solange keine gravierenden Mängel vorliegen.
Empfehlung: Eine flächendeckende Einführung dieser risikobasierten Vollzugspraxis in Bayern und später bundesweit. Unterstützung durch Merkblätter und abgestimmte Kommunikation über DEHOGA, IHK & Co.
2. Temperaturdokumentation: Schluss mit dem Thermometer-Tagebuch
Kühlraum- und Speisentemperaturen sollen künftig nicht mehr lückenlos dokumentiert werden müssen – jedenfalls dann nicht, wenn bei Kontrollen keine gravierenden Mängel festgestellt werden. Fehler beheben statt aufschreiben lautet die neue Devise.
Empfehlung: Ergänzung der Kontrollberichte mit dem Vermerk, dass bis zur nächsten Kontrolle keine Dokumentationspflicht besteht – und mittelfristige Angleichung zwischen den Bundesländern.
3. Allergenkennzeichnung: Mündlich erlaubt – aber kaum bekannt
Viele Betriebe kennen die Spielräume der Allergenkennzeichnung nicht. Entgegen verbreiteter Annahme müssen Allergene nicht zwingend in der Speisekarte stehen – mündliche Information reicht aus, sofern eine schriftliche Aufzeichnung im Betrieb hinterlegt ist.
Empfehlung: Breit angelegte Aufklärungskampagne und langfristig gesetzliche Ausnahmen für kleine Betriebe mit täglich wechselnder Küche.
4. Rückverfolgbarkeit: Ein Handyfoto genügt
Statt Lieferscheine zu digitalisieren, wie es das Gesetz verlangt, dürfen kleine Betriebe in Bayern schon heute einfach ein Handyfoto machen – ein einfacher und effektiver Weg.
Empfehlung: Diese gelebte Praxis bundesweit ermöglichen und rechtssicher verankern. Parallel: Förderung digitaler Lieferketten.
5. Arbeitsschutz: Digitale Hilfe für kleine Betriebe
Die Gefährdungsbeurteilung gilt als undurchsichtig und praxisfern – besonders für Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitenden. Die BGN bietet hier bereits kostenfreie Beratung und Muster an.
Empfehlung: Ausweitung dieser Hilfen auf Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten und Schaffung digitaler Tools zur Selbsteinschätzung.
6. Vorsorgekartei: Klartext statt Paragraphenflut
Wann muss welche Vorsorge erfolgen? Gerade bei Feuchtarbeit (z.B. Abwäscher, Küche, Service) ist der Informationsbedarf hoch. Einfache Faustregeln gibt es bereits – aber zu wenige Betriebe kennen sie.
Empfehlung: Erstellung einer leicht verständlichen Übersicht speziell fürs Gastgewerbe.
7. Elektroprüfungen: Der Hausmeister darf’s auch machen
Prüfintervalle von elektrischen Anlagen sollen von Unternehmern verantwortungsvoll selbst festgelegt werden dürfen – sofern sie das nötige Know-how haben. Auch eine innerbetriebliche Qualifikation soll genügen.
Empfehlung: Präzisierung der Regelungen zur „ständigen Überwachung“ und Veröffentlichung von Best-Practice-Beispielen.
8. Brandschutz: Prüffristen vereinheitlichen
Unterschiedliche Ländervorgaben, teure Prüfintervalle, unnötiger Aufwand – das ist der aktuelle Zustand im Brandschutz. Bayern macht vor, wie’s besser geht: drei Jahre Turnus, einfache Kontrolle durch einen Sachkundigen.
Empfehlung: Vereinfachung der bayerischen Vorschriften und bundesweite Harmonisierung – notfalls durch länderübergreifende Beschlüsse.
Bayern zeigt, wie es geht – jetzt muss der Bund liefern
Der Praxischeck hat eines deutlich gemacht: Bürokratieabbau ist möglich, wenn Verwaltung und Praxis gemeinsam an einem Tisch sitzen. Viele Probleme lassen sich bereits im Rahmen bestehender Gesetze durch eine risikoorientierte, pragmatische Anwendung lösen – ohne die Lebensmittelsicherheit oder den Arbeitsschutz zu gefährden.
Bayern geht hier mutig voran. Jetzt braucht es den Schulterschluss auf Bundesebene, um diese Lösungen flächendeckend umzusetzen. Denn eines ist sicher: Ohne Entlastung bleibt der Fachkräftemangel im Gastgewerbe nicht das einzige Problem, das die Betriebe lahmlegt – sondern auch der Papierkrieg.
Weiterführende Informationen:
Die vollständigen Ergebnisse und Handlungsempfehlungen sind im „Praxischeck Bürokratieabbau Gastgewerbe“ des BMWi und der Bayerischen Staatsregierung nachzulesen.












