Eine aktuelle Untersuchung zur digitalen Barrierefreiheit von Websites in Europa kommt zu dem Ergebnis, dass keine der getesteten verbraucherorientierten Websites in Deutschland die Anforderungen des European Accessibility Act (EAA) beziehungsweise des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) erfüllt. Zu diesem Fazit gelangt der Report „Digitale Barrierefreiheit: EAA-Bilanz nach sechs Monaten“ des Unternehmens AccessiWay, der sechs Monate nach Inkrafttreten des EAA veröffentlicht wurde.
Für die Analyse wurden 100 große, konsumentenorientierte Websites in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Großbritannien untersucht. Im europäischen Vergleich bildet Deutschland mit einer Compliance-Rate von 0 Prozent das Schlusslicht. Die durchschnittliche Anzahl der festgestellten Barrieren pro deutscher Webseite liegt bei 2,9 und ist damit die höchste in Europa.
Methodik und festgestellte Mängel
Im Rahmen der Untersuchung wurden für jede Website bis zu drei Seiten – die Startseite, eine Produkt- oder Kategorieseite sowie der Checkout – anhand von acht der insgesamt 78 Kriterien geprüft. Die Autoren des Reports weisen darauf hin, dass eine vollständige Überprüfung der Kriterien voraussichtlich noch weitere Mängel aufdecken würde.
Die am häufigsten in Deutschland festgestellten Barrieren waren Layouts, die bei einer Zoom-Einstellung von 400 Prozent brachen (Reflow), was bei 12 der 20 untersuchten Websites auftrat, sowie eine fehlende Tastaturnavigation und eine unzureichende Fokus-Sichtbarkeit, die in beiden Fällen bei 9 von 20 Websites festgestellt wurden. Besonders Websites aus den Branchen Retail und Fashion sind betroffen und verursachen laut Report fast die Hälfte aller festgestellten Fehler in Deutschland.
Risiken für Unternehmen und Appell der Geschäftsführung
Die mangelnde Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit wird im Report nicht nur als technisches Problem bewertet. Unternehmen setzen sich demnach Bußgeldern, Klagen und Reputationsverlusten aus. Zudem werden Millionen potenzieller Kunden von der Nutzung von Online-Angeboten ausgeschlossen.
Jan Stedul, Managing Director von AccessiWay Germany, ordnete die Ergebnisse als dringenden Handlungsbedarf ein: „Die Tatsache, dass keine der deutschen Websites in unserem Sample die grundlegenden Accessibility-Standards erfüllt hat, sollte ein Weckruf sein.“ Er betonte, dass deutsche Unternehmen erhebliche Risiken eingehen, wenn sie nicht handeln, und warnte: „Wer digitale Barrierefreiheit jetzt nicht ernst nimmt, wird von der Konkurrenz abgehängt und verliert das Vertrauen von Millionen Kund:innen!“
Europäischer Vergleich zeigt Unterschiede
Europaweit fielen 94 Prozent der getesteten Websites bei mindestens einer Barrierefreiheitsprüfung durch; keines der untersuchten Länder erfüllt die Vorgaben vollständig. Dennoch zeigen sich in der Konformitätsrate Unterschiede: Großbritannien erreichte eine EAA-Konformität von 15 Prozent (85 Prozent wiesen Mängel auf), Frankreich erreichte zehn Prozent und Österreich fünf Prozent. Deutschland und Italien fielen mit 0 Prozent Konformität zurück.
Während in Frankreich oder Österreich bereits erste rechtliche Schritte gegen Unternehmen eingeleitet wurden, wird erwartet, dass Klagen und behördliche Prüfungen auch in Deutschland stark zunehmen. Die Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen nimmt demnächst in Magdeburg ihre Arbeit auf.
BFSG als gesetzliche Compliance-Pflicht
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist seit dem 28. Juni 2025 in Kraft und setzt den European Accessibility Act (EAA) in nationales Recht um. Es verpflichtet Unternehmen zur barrierefreien Gestaltung ihrer digitalen Produkte und Services – dazu gehören Websites ebenso wie Banking-Apps. Der Standard, der hierbei zu erfüllen ist, ist WCAG 2.1 AA. Die 78 WCAG-Kriterien bilden das technische Regelwerk, das sicherstellen soll, dass Menschen mit Behinderungen, zum Beispiel Nutzer von Screenreadern oder Tastaturnavigation, digitale Angebote gleichberechtigt nutzen können.
Lediglich Kleinstunternehmen sind von der Pflicht ausgenommen. Für alle anderen ist Barrierefreiheit eine gesetzliche Pflicht und zugleich ein relevanter Wettbewerbsfaktor. Stedul ergänzte, dass Unternehmen, die jetzt handeln, nicht nur erhebliche rechtliche Risiken vermeiden, sondern sich auch Zugang zu neuen Kundengruppen sichern. Er verwies auf die 107 Millionen Europäer mit Behinderung, die eine bislang weitgehend unerschlossene Zielgruppe darstellen.












