Biergarten: «Bayerische Erfindung» und «demokratischer Ort»

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Maßkrüge klirren, das Gemurmel vieler Stimmen liegt über der Szenerie, und in der lauen Luft fühlt sich der Sommerabend fast an wie immer. Fast. Die Tische sind weiter auseinandergerückt. Es gibt weniger Plätze - und mehr Andrang. Wer nicht reserviert hat, muss gelegentlich kehrt machen. Biergärten, aber auch Terrassen und Gärten vor Gaststätten sind in diesem Corona-Sommer extrem begehrt.

Schon vorher erlebten Biergärten einen Boom. «Diese bayerische Erfindung hat ihren Siegeszug in ganz Deutschland angetreten», sagt die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, Ingrid Hartges. «Man kann da wunderbar Urlaub vom Alltag genießen, um ein paar Stunden am Abend zu entspannen.» Das Erlebnis in südlichen Ländern mit Cafes und Gastronomie im Freien habe zu dem Trend nach draußen beitragen. Die Rauchverbote hätten ihn nochmals befeuert.

In Bayern ist der Biergarten seit dem 19. Jahrhundert etabliert - ein Kulturgut, für das die Bayern sogar auf die Straße gingen. 1995 demonstrierten 25 000 Menschen in München für das Recht, bis 23.00 Uhr im Biergarten zu sitzen. Sie zogen mit Blasmusik, Kuhglocken und markigen Worten zur Staatskanzlei - und setzten sich durch. Die Demo ging als «Biergartenrevolution» in die Geschichte ein.

Mit der Corona-Krise sei die Sehnsucht noch größer geworden, wieder draußen zu sein und sich zu treffen, sagte Hartges. Zudem seien viele nicht in Urlaub gefahren. Sie drängten nun nicht nur an die Badeseen, sondern auch unter die kühlen Kastanien. «Was gibt es Schöneres, als einen Platz für Urlaub vom Alltag in der Heimat zu finden?» Die Berichte zu Infektionsrisiken in geschlossenen Räumen tragen ebenso zur verstärkten Nachfrage in der Außengastronomie bei.

In vielen Städten haben die Behörden Ausnahmen ermöglicht: Bürgersteige und Parkplätze wurden in Windeseile umfunktioniert zu einer Art Biergarten: Tische raus, provisorischer Zaun drumrum - fertig. Das habe den Verlust an Plätzen durch die Abstandsregeln oft kompensieren können, sagte Hartges.

«Die Ausweitung der Freischankflächen ist enorm wichtig», sagt auch der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes, Thomas Geppert. Teils mit Paletten haben Wirte ihre neuen «Biergärten» abgegrenzt, manche haben sie mit Blumenkästen geschmückt - oder kunstvoll mit Graffiti bemalt. «Das wird wahnsinnig stark angenommen», sagt Walter König vom Bayerischen Brauerbund. «Das gibt der Stadt ein tolles Flair.»

In Köln wurde ein «Corona-Biergarten» aus der Taufe gehoben - er war auf Anhieb bis auf den letzten Platz ausgebucht. Rund 450 Menschen kamen auf dem rund 270 Meter langen gesperrten Straßenabschnitt zum gemütlichen Feierabendbier zusammen. Ein Kölner Gastronomie-Netzwerk hat den sogenannten Pop-up-Biergarten eröffnet, um Feier-Hochburgen an den Wochenende zu entlasten.

Mit den ursprünglichen Biergärten hat das alles nichts zu tun. Sie waren Anfang des 19. Jahrhunderts an den Bierkellern entstanden, wo das Bier im Sommer kühl lagerte. Brauer entdeckten den Ausschank über den Kellern im Schatten der Kastanien als Geschäft. In der Folge gab es Zank mit Gastwirten, denen die Gäste wegblieben - bis König Max I. am 4. Januar 1812 per Erlass für Frieden sorgte. Er erlaubte den Brauern den Ausschank über den Bierkellern. Zugleich verbot er den Verkauf von Speisen. So brachten die Gäste ihr Essen mit.

Daraus wurde Tradition. Mancher Tourist staunt heute vor allem in Bayern, wenn Einheimische ihre eigene Tischdecke entfalten, um Käse und Rettich, Salzstreuer und Besteck auszubreiten.

Echte Biergärten, wo wie früher nur Bier ausgeschenkt wird, sind praktisch verschwunden. An Tresen können Gäste auch Kartoffelsalat, Leberkäse oder Haxe holen. Oft gilt auch als Biergarten, wo bedient wird. «Das meiste, was wir heute Biergarten nennen, ist ein Wirtsgarten - der Garten oder die Terrasse eines Wirtshauses», sagt der Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, Norbert Göttler.

Dabei gab es früher erhebliche Unterschiede zwischen Wirtschaft, Biergarten und Bierkeller, in dem auch politische Ränke gesponnen wurden. «Das war im Biergarten nicht möglich», sagt Göttler. Zu öffentlich. «Da konnte man keine geheimen Bünde schmieden. Es war eher ein demokratischer Ort.» Dort fielen auch die strengen Regeln für gesellschaftliche Schichten, die im Gasthaus galten.

Denn damals durfte keineswegs jeder in jedes Gasthaus. In der Post-Wirtschaft kehrten laut Göttler Honoratioren und Reisende ein. Einfache Leute tranken in Bauern- und Arbeiterwirtschaften. Auch in den Wirtshäusern galt strikte Trennung: Es gab eigene Tische für Knechte, Großbauern und Obrigkeit. In den Biergärten durfte nun jeder mit jedem trinken- sie brachten egalisierte Verhältnisse.

Dass im Biergarten alle gleich sind, bekam auch Prinz Ludwig, der spätere letzte bayerische König Ludwig III., mit seiner Frau Marie Therese am Kloster Andechs zu spüren. Anstatt den Herrschaften wie verlangt im überfüllten Biergarten einen Platz zu besorgen, forderte sie Bruder Jakob Neubauer gemäß der Andechser Chronik auf: «Die Hoheiten soll'n si halt aufs Gras hi'haun wia die andern a.»

Schon jetzt sorgen sich Wirte, wie es im Herbst wird, wenn es draußen kalt ist. «Wir werden uns etwas überlegen müssen», sagt Geppert. Vielleicht Heizpilze. Die Zeiten bleiben hart. Geppert und Hartges fordern deshalb die Beibehaltung des niedrigeren Mehrwertsteuersatzes in der Gastronomie, wie er jetzt als Corona-Hilfsmaßnahme gilt. (dpa)


 

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