«O'zapft is» trotz Oktoberfestabsage - München fürchtet «wilde Wiesn»

| Gastronomie Gastronomie

Weiß-blauer Himmel, Sonne: Perfektes Wiesn-Wetter ist angesagt für diesen Samstag. Um Punkt 12.00 Uhr hätte am 19. September der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in der Lederhose das erste Fass Bier mutmaßlich mit zwei Schlägen angezapft und das größte Volksfest der Welt eröffnet. Doch auf der Theresienwiese heißt es Testzelt statt Festzelt. Wo sonst Millionen Liter Bier fließen, lassen sich Menschen auf das Coronavirus testen.

Zum ursprünglich geplanten Wiesnstart könnte es ausgerechnet dort sogar ein Alkoholverbot geben, um private Ersatzpartys mit hohem Infektionsrisiko zu verhindern. Erstmals seit 70 Jahren ist das Münchner Oktoberfest abgesagt - eine historische Entscheidung.

«Ein Herbst ohne Wiesn - da fehlt einfach etwas», sagt OB Reiter. Am Samstag hätte er Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die erste Maß Bier gereicht. Stattdessen aber waren die beiden im April gemeinsam vor die Presse getreten, um die Entscheidung zur Absage der Wiesn zu verkünden. «Es tut uns weh», sagte Söder damals. Reiter sprach von einem traurigen Tag und einem emotional schwierigen Moment.

Trotzdem wird es am Samstag in München dutzendfach heißen: «O'zapft is». «WirthausWiesn» heißt die Alternative zum geplatzten Volksfest, mit dem mehr als 50 Wirte bis zum 4. Oktober Wiesnstimmung schaffen wollen. «Für uns ist die Wiesn kein Ort und keine Veranstaltung. Die Wiesn ist ein tiefes, in uns verankertes Lebensgefühl», sagt der Sprecher der Innenstadtwirte, Gregor Lemke.

Es scheint ein wenig die Stunde der Ehemaligen zu sein: Alt-OB Christian Ude (SPD), der 2014 das Amt und damit das Anzapf-Ritual an Reiter abgab, sticht im Bahnhofsviertel an; Ex-Wirtschaftsreferent und Ex-Wiesnchef Josef Schmid (CSU) zapft im Augustiner am Platzl an.

Die «WirtshausWiesn» will an die Hochzeit von Kronprinz Ludwig mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen 1810 als Ursprung der Wiesn anknüpfen. Auf der nach der Braut benannten Theresienwiese fand ein Pferderennen statt, zum Essen und Trinken gab es aber nichts. Der König habe die Untertanen deshalb in die Wirtshäuser eingeladen - vielleicht auch eine Idee für «König Markus», meint Lemke in Anspielung auf den bayerischen Regierungschef Söder.

Wiesnbier fließt schon seit Wochen - meistens «dahoam»: Die Brauereien haben viele Millionen Liter trotz der Absage gebraut - der Gerstensaft fand teils besseren Absatz als sonst. Passend gibt es den originalen Wiesn-Maßkrug, sinnreich beworben als «Koa Wiesn-Krug».

Ebenfalls seit Wochen drehen auf verschiedenen Plätzen Karussells. Am Königsplatz ermöglicht ein Riesenrad den Blick über die Stadt, ein 90 Meter hohes Kettenkarussell kreist am Olympiagelände. Es gibt Schießbuden, Trachtenstände, Zuckerwatte und Lebkuchenherzen - «Sommer in der Stadt» heißt das Alternativ-Programm.

Beim «Trachtival» lockt die Kult-Achterbahn «Wilde Maus». Statt auf der Wiesn drehen die Ochsen «Max» oder «Paul» nun am Chinesischen Turm im Englischen Garten am Grill, am Samstag zum Anstich gibt es Ochsenfleisch auch im legendären Hofbräuhaus.

Für Schausteller, Wirte und Budenbesitzer bringt das zumindest etwas Verdienst. Auch Hotels, Gaststätten, Taxifahrer und Einzelhändler verpassen Einnahmen. Die Wiesn 2019 hatte laut Stadt einen Wirtschaftswert von rund 1,23 Milliarden Euro - sechs Millionen Gäste aus aller Welt kommen sonst zur Wiesn. Volle Fahrgeschäfte, überfüllte Zelte - das Fest wäre ein Mega-Infektionsherd geworden. Schon sonst grassierte regelmäßig die sogenannte Wiesngrippe.

Ärzte sehen auch die Wiesn-Alternativen zurückhaltend. Bei Einhaltung der Hygieneregeln sei das Risiko einschätzbar, sagt Bernd Zwißler von der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum der Universität München. Das Ideal zur Vermeidung der Krankheitsübertragung sei es, sich nicht zu treffen. Derartige Veranstaltungen komplett zu verbieten, sei aber weder gesellschaftlich akzeptiert noch verhältnismäßig.

Angesichts steigender Zahlen sehe er eine «Wiesn light» eher «skeptisch bis sorgenvoll», sagt der Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing, Clemens Wendtner. «Dieses Jahr heißt es für uns alle, Opfer zu bringen und das große Ganze, nämlich die Kontrolle der Pandemie, nicht aus dem Auge zu verlieren. Die nächste "gscheite Wiesn" kommt bestimmt, wenn wir das Virus nicht mehr im Nacken haben, hoffentlich nächstes Jahr.»

Was am Samstag auf der Theresienwiese als originärem Ort des Volksfestes passiert, ist offen. Nur ein paar Buden stehen auf der Fläche, die mit trockenen Grasbüscheln und Schotter eher eine Steppe als Wiese ist. Gerade dort wollte man keine Fahrgeschäfte. Als Wiesn-Alternative wollen Klimaschützer dort demonstrieren, zugleich ist aber neben dem Alkoholverbot sogar ein Betretungsverbot im Gespräch: Befürchtet wird, dass Oktoberfestfans eine «wilde Wiesn» feiern könnten - mit großem Infektionsrisiko.

«Wenn jemand Wiesnflair haben möchte, bieten sich zahlreiche schöne Gelegenheiten», mahnt Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle schon jetzt und verweist auf die diversen Angebote wie «WirtshausWiesn» und «Sommer in der Stadt». «Es gibt sicher Schöneres, als sich auf eine öde leere Fläche zu stellen und mitgebrachtes Bier zu trinken.» (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Der Guide Michelin Italien 2026 hat die neue Auswahl in Parma präsentiert, wobei insgesamt 25 Neuzugänge in den Sternekategorien ausgezeichnet wurden. Die diesjährige Ausgabe zeichnet ein neues Haus mit drei Michelin Sternen aus. Zugleich konnte Südtirol seine Position in der Spitzengastronomie festigen und zählt zwei neue Restaurants mit einem Stern.

Die Burger-Kette Jim Block ist nach Rostock zurückgekehrt und hat ihr zwölftes Restaurant in Deutschland eröffnet. Mit einem Investitionsvolumen von rund 1,3 Millionen Euro wurde das erste Jim Block-Lokal in Mecklenburg-Vorpommern am Freitag eröffnet. Das Unternehmen gehört zur Block-Gruppe, zu der auch das Steak-Restaurant Block House zählt.

Bei der offiziellen Zeremonie des Michelin Guide Northeast Cities 2025 wurden in der US-Stadt Philadelphia erstmals Restaurants ausgezeichnet. Drei Betriebe erhielten je einen Michelin-Stern, ein weiteres Restaurant wurde mit dem Grünen Stern für Nachhaltigkeit geehrt.

Die Stadtverwaltung von Florenz wird ab dem kommenden Jahr neue und deutlich strengere Regelungen für die Außengastronomie im historischen Zentrum einführen. In 50 Straßen der Altstadt wird diese komplett untersagt.

Im Hamburger „Pallas“ fand jetzt die 39. Deutsche Cocktail Meisterschaft (DCM) der Deutschen Barkeeper-Union (DBU) statt. Als Sieger ging Jakob Schröder hervor, der in Köln in der Bar „Toddy Tapper“ tätig ist. Er setzte sich mit seiner Kreation namens „Slow Motion“ gegen zehn Finalistinnen und Finalisten durch.

Die Einkaufsstraße Zeil in Frankfurt am Main ist um ein Gastronomiekonzept reicher. Die Fast-Food-Kette KFC hat dort ein neues Restaurant eröffnet, das nach eigenen Angaben als einziger Core-Plus-Store in Deutschland gilt. Das Konzept zeichnet sich durch innovative Services, Technologien und ein besonderes Storedesign mit lokalem Bezug aus.

Das Victor’s Fine Dining by Christian Bau im saarländischen Perl-Nennig feierte jetzt ein außergewöhnliches Jubiläum: Seit dem 21. November 2005 ist das Gourmetrestaurant ununterbrochen mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Der Festakt versammelte alle saarländischen Ministerpräsidenten der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Eine aktuelle Umfrage von Lightspeed zeigt: Weihnachtsfeiern in der Gastronomie bleiben in Deutschland beliebt. Doch angesichts eines engen Budgetgürtels und hoher Preissensibilität müssen sich Restaurants etwas einfallen lassen. Neben gutem Essen und Service wünschen sich die Gäste nämlich vor allem maximale Planbarkeit.

Kloster Eberbach startet ein neues Kapitel seiner Gastronomie. Die Stiftung hat die Bewirtung der Klosterschänke selbst übernommen und eröffnet das Lokal am 16. November 2025 mit einem neuen Konzept. Unter der Leitung von Rosa Roccaro, einer Gastronomin mit sizilianischen Wurzeln, soll ein Ort entstehen, der Kulinarik und Kultur verbindet.

In der Grand Hall Zollverein in Essen fand am 17. November 2025 das große Doppelfinale zur 10. Auflage des Live-Wettbewerbs "Koch des Jahres" statt. Dies stellte einen historischen Moment dar, da die Finalisten von "Koch des Jahres" und "Patissier des Jahres" erstmals gleichzeitig antraten. Die Wettbewerbe wurden vor 1.200 Fachbesuchern und Medienvertretern ausgetragen.