Rinder-Cevapcici 31 Prozent billiger, zweieinhalb Kilo Hähnchenschenkel für 4,98 Euro: Schnäppchenpreise für Fleisch stehen schon länger in der Kritik. Unter dem Druck erneuter großer Corona-Ausbrüche in der Schlachtindustrie kommt jetzt aber Bewegung in das Ringen um bessere Bedingungen - auch in den Ställen und gegen einen Dauer-Preiskampf im Supermarkt. «Fleisch ist zu billig», sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Sie setzt sich daher nun auch für eine Tierwohlabgabe ein, die auf Fleisch, Wurst und anderes aufgeschlagen werden könnte.
Am Wochenende wurden in einer Fleischfabrik des Marktführers Tönnies im westfälischen Rheda-Wiedenbrück mehr als 1000 Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet. Die Produktion wurde für 14 Tage geschlossen.
«Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen», sagte Klöckner. «Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche werden. Aber auch keine Alltagsramschware.» Eine Tierwohlabgabe hatte eine Expertenkommission ihres Ministeriums unter Leitung des früheren Ressortchefs Jochen Borchert im Februar empfohlen - und zwar zum Mitfinanzieren eines grundlegenden Umbaus der Tierhaltung hin zu mehr Tierschutz. Denn dafür bestehe «erheblicher Handlungsbedarf».
Eine solche Abgabe auf tierische Produkte könnte nach Vorstellungen der Kommission als Verbrauchsteuer umgesetzt werden. Denkbar wären demnach Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst oder 2 Cent pro Kilo für Milch und Frischmilchprodukte. Das sollte für Menschen mit niedrigen Einkommen aber sozial flankiert werden.
Die Verbraucherzentralen überzeugt das nicht. «Ein höherer Preis durch eine neue Fleischsteuer oder Tierwohlabgabe garantiert leider keine bessere Qualität, kein höheres Tierwohl oder Arbeitssicherheit in Schlachtereien», sagte der Chef des Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, der «Rheinischen Post». Nötig seien bessere Standards und Kontrollen sowie Informationen auf der Packung, um Qualität erkennen zu können. FDP-Fraktionsvize Frank Sitta sagte, dass Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen zum Anlass genommen werden sollten, Fleischpreise staatlich zu erhöhen, sei reine Effekthascherei. «Das Geld wird bei keinem Schwein ankommen.» Statt emotionalisierte Debatten unsachlich zu befeuern, müssten Stallumbauten bürokratisch erleichtert werden.
In der großen Koalition bekommt das Konzept der Kommission nun aber insgesamt Rückenwind. Es schlägt schrittweise höhere Standards auf breiter Front bis 2040 vor. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte der dpa, die Kommission habe wichtige Vorarbeiten geleistet. «Die Politik muss sich jetzt bekennen.» Ziel seien klare Kriterien für den Stall der Zukunft, die Tierwohl und Klimaschutz berücksichtigen und Landwirten Planungssicherheit geben. Union und SPD bereiten auch einen Antrag im Bundestag vor. Er soll die Regierung auffordern, die Kommissions-Empfehlungen «in Konsequenz und in Gänze aufzugreifen».
Grünen-Chef Robert Habeck sagte der dpa, der gesellschaftliche Druck auf die Bundesregierung müsse jetzt hoch bleiben. «Wir müssen hin zu einer Tierhaltung, die am Wohle der Tiere ausgerichtet ist und nicht einzig und alleine auf Dumping-Preise und Wettbewerbslogiken.» Dies scheine endlich auch Klöckner einzusehen. «Immerhin bekennt sie sich jetzt abstrakt zu einer Tierschutzabgabe.» Nötig sei aber auch eine verbindliche Haltungskennzeichnung, die Verbrauchern Aufschluss darüber gebe, welche Art der Tierhaltung sie auf dem Tisch haben.
Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) forderte ein Ende der Preiswerbung für Fleisch. «Wenn die Branche nicht zügig zu einer Selbstverpflichtung kommt, brauchen wir eine gesetzliche Vorgabe», sagte er der dpa. Der wöchentliche Preiskampf der Supermärkte sei «unanständig» und müsse aufhören. Der SPD-Agrarpolitiker Rainer Spiering sagte der dpa: «Dass Fleisch derartig verramscht wird, hat mit dem Verramschen von Arbeitskräften zu tun.» Daher müsse man den Hebel bei den Lohnkosten ansetzen und die Bezahlung klar verbessern. «Diese Kostensteigerungen können auch Branchenriesen wie Tönnies nicht wegdrücken, sondern müssen sie in den Markt weitergeben.»
Klöckner kritisierte angesichts des Corona-Ausbruchs beim Marktführer Tönnies die Zentralisierung der Schlachtbranche. «Wie man sieht, hat Größe dann einen Negativpreis.» Landwirte müssten von ihrer Arbeit leben können, auch um Ställe umzubauen. «Wenn aber Fleischindustrie und Handel immer stärker auf den Preis drücken, dann schaffen das die Tierhalter nicht.»
Osteuropäische Vollzeitkräfte in Schlachtbetrieben verdienen nach Daten der Bundesagentur für Arbeit, die die Linksfraktion erfragt hat, schlechter. Das mittlere Einkommen bei deutschen Beschäftigten lag demnach Ende 2018 bei 2300 Euro brutto im Monat. Bei rumänischen Beschäftigten waren es 1800 Euro, bei Bulgaren 1700 Euro, bei Polen 1900 Euro, bei Ungarn knapp 2000 Euro. Linke-Arbeitsmarktexpertin Sabine Zimmermann sagte, wenn Löhne schon bei offiziell registrierten Zahlen und Vollzeitkräften niedrig seien, wie sei es dann erst in «Grauzonen» mit Subunternehmen und gefälschten Stundenabrechnungen zum Umgehen des Mindestlohns. Vielfach sei es «Ausbeutung pur».