Die große Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland spricht sich für eine Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf maximal 8 Stunden aus. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse des nun in Berlin vorgestellten DGB-Index Gute Arbeit 2025. Die Erhebung beleuchtet das Spannungsfeld zwischen Arbeitszeitwunsch und Arbeitszeitrealität sowie die gesundheitlichen und sozialen Folgen überlanger Arbeitszeiten.
Wunsch und Wirklichkeit bei der Arbeitszeit klaffen auseinander
Der DGB-Index 2025 zeigt, dass 72 Prozent der Arbeitnehmer ihre tägliche Arbeitszeit auf höchstens 8 Stunden begrenzen möchten. 98 Prozent wollen nicht länger als 10 Stunden arbeiten. Bemerkenswert ist, dass selbst von denjenigen, die den 8-Stunden-Tag häufig oder sehr häufig überschreiten, noch 59 Prozent diese Grenze gerne einhalten würden, wenn sie selbst darüber entscheiden könnten.
Demgegenüber steht die aktuelle Zufriedenheit mit der wöchentlichen Arbeitszeit: Lediglich 40 Prozent der Beschäftigten sind damit zufrieden. 53 Prozent wünschen sich kürzere Arbeitszeiten, bei schlechten Arbeitsbedingungen sind es sogar 72 Prozent.
Als häufigste Gründe für diese Diskrepanz nennen 63 Prozent der Befragten unflexible betriebliche Arbeitsabläufe beziehungsweise starre Strukturen als Hinderungsgrund für kürzere Arbeitszeiten. Zusätzlich geben 60 Prozent der Beschäftigten an, die Arbeitsmenge nicht in der vorgesehenen Zeit schaffen zu können.
Gesundheitsfolgen und mangelnde Vereinbarkeit
Die Realität zeigt, dass mehr als 40 Prozent der Beschäftigten den 8-Stunden-Tag (sehr) häufig überschreiten. Die Folgen sind messbar und nehmen mit der Häufigkeit der Überschreitung zu: Beschäftigte, die sehr häufig über 8 Stunden arbeiten, können deutlich schlechter von der Arbeit abschalten (51 Prozent gegenüber 21 Prozent bei Einhaltung des 8-Stunden-Tags). Sie fühlen sich zudem doppelt so häufig nach der Arbeit leer und ausgebrannt (46 Prozent gegenüber 23 Prozent bei Einhaltung). Darüber hinaus wird die gesetzliche Ruhezeit bei sehr häufiger Überschreitung fünfmal häufiger unterschritten (21 Prozent gegenüber 4 Prozent).
Auch die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben wird dadurch massiv beeinträchtigt. Während bei Einhaltung des 8-Stunden-Tags nur 12 Prozent von Vereinbarkeitsproblemen berichten, steigt dieser Anteil bei sehr häufiger Überschreitung auf 44 Prozent. Besonders viele Beschäftigte (63 Prozent) berichten von Schwierigkeiten, wenn Betriebe die Arbeitszeit kurzfristig ändern.
Arbeitszeiterfassung als Schutzinstrument
Eine vollständige Erfassung der Arbeitszeit durch den Betrieb, wie sie rechtlich vorgeschrieben ist, wird lediglich von 70 Prozent der Befragten berichtet. 23 Prozent verfügen über keine Arbeitszeiterfassung, bei 7 Prozent werden die Arbeitszeiten nur unvollständig erfasst.
Die Daten legen nahe, dass die Arbeitszeiterfassung als Schutzinstrument wirkt: Mit Erfassung arbeiten weniger Beschäftigte überlange Arbeitszeiten (6 Prozent über 48 Stunden pro Woche gegenüber 11 Prozent ohne Erfassung). Auch die Vereinbarkeit verbessert sich: Mit Erfassung berichten 23 Prozent von Problemen, ohne Erfassung sind es 30 Prozent. Beschäftigte ohne Arbeitszeiterfassung berichten zudem häufiger über Phänomene der Entgrenzung.
Gewerkschaften warnen vor einseitiger Verschiebung
Yasmin Fahimi, DGB-Vorsitzende, betont die Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses von Arbeits- und Erholungszeiten: „Arbeitszeiten und Erholungszeiten müssen aber in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, damit Beschäftigte gesund bleiben können. Das geltende Arbeitszeitgesetz dient daher aus arbeitsmedizinischer Sicht genau diesem Schutz der Beschäftigten.“
Sie sieht eine Aufweichung des Gesetzes als kontraproduktiv und eine einseitige Verschiebung zulasten der Beschäftigten. Fahimi erklärt weiter: „Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig: Die Menschen sind leistungsbereit und wünschen sich Arbeit, die zum Leben passt. Aber Leistungsbereitschaft entsteht durch Motivation und nicht durch noch mehr Druck. Und für mehr Vereinbarkeit brauchen wir mehr Tarifverträge und zielgenaue Betriebsvereinbarungen anstelle einer Ausweitung des Direktionsrechts der Arbeitgeber.“
Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), sieht keinen Grund, den 8-Stunden-Tag auszuhebeln: „Es gibt überhaupt keinen Grund, den 8-Stunden-Tag auszuhebeln, wie es die Koalition vorhat. Die geltenden Regelungen erlauben ein Höchstmaß an Flexibilität: Wo Mehrarbeit nötig ist, wie etwa in Kliniken oder im Nahverkehr, ist diese Mehrarbeit überall in Tarifverträgen geregelt.“ Er warnt vor den möglichen Folgen einer generellen Zulassung von Mehrarbeit, die Arbeit mit Pausen von 13 Stunden am Stück ermöglichen würde: „Das werden die Arbeitgeber insbesondere in Branchen wie der Paketzustellung mit 14.000 Firmen unter zehn Arbeitsplätzen und somit ohne Kündigungsschutz und fast immer ohne Betriebsrat gnadenlos gegen die Beschäftigten durchsetzen. Deshalb muss der Schutz erhalten bleiben.“
Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), weist auf die hohe Belastung in seiner Branche hin: „Am 8-Stunden-Tag darf nicht gerüttelt werden – denn schon heute arbeiten die Beschäftigten, zum Beispiel in der Süßwarenindustrie, in den Bäckereibetrieben und im Gastgewerbe am Limit.“
Er befürchtet, dass eine weitere Verlängerung die Realität aus Mehrarbeit, Wochenenddiensten, körperlicher Belastung und fehlender Erholung ignorieren würde. „Gerade in diesen Branchen, in denen Schichtarbeit, Personalmangel und hohe Arbeitsdichte längst Alltag sind, wäre eine Ausweitung der Arbeitszeit ein Brandbeschleuniger für gesundheitliche Probleme und Fachkräfteschwund. Die derzeitigen arbeitszeitrechtlichen Leitplanken schützen die Menschen – und genau deshalb müssen sie unangetastet bleiben“, so Zeitler.













