Scholz startet „Konzertierte Aktion“ - Ruf nach weiteren Entlastungen

| Politik Politik

Zum Start der sogenannten Konzertierten Aktion gegen die Preissteigerungen sind Rufe nach zusätzlichen Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger lauter geworden. Nach Angaben von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll es zum Auftakt der Aktion an diesem Montag aber noch keine Ergebnisse geben. Scholz hatte den Dialog mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, Bundesbank und Wissenschaftlern initiiert, um dem Preisdruck etwas entgegenzusetzen.

Scholz' Ziele:

Scholz macht sich große Sorgen über die steigenden Energiepreise, wie er am Sonntag in einem ARD-Interview sagte. «Wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewältigen können. Das ist sozialer Sprengstoff.» Der Kanzler strebt einen längerfristigen Prozess an. Beobachter erwarten, dass entscheidende Runden der Konzertierten Aktion erst nach der Sommerpause folgen - wenn das tatsächliche Ausmaß der Energie- und Preiskrise klarer wird.

Das drängendste Problem ist derzeit der Gaspreis. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte vor einer Preisexplosion bei Stadtwerken, falls Russland den Gashahn zudreht und große Versorger weiter in Not geraten. Eine Kettenreaktion mit weitreichenden negativen Folgen erscheint möglich. Die größten Herausforderungen bei den Preisen insgesamt aber - so sagte es Scholz - folge erst im nächsten Jahr. «Für dieses Jahr sagen fast alle, die nachgerechnet haben, dass wir bei den unteren und mittleren Einkommen ungefähr 90 Prozent der Preissteigerungen durch die vielen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, aufgefangen haben.

 

Historisches Vorbild:

1967 gab es den ersten Abschwung im Wirtschaftswunderland Deutschland. Der SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller wollte deshalb die Anti-Krisenpolitik in einer Konzertierten Aktion mit Arbeitgebern und Gewerkschaften abstimmen. Der Staat wollte also mit eigenen Maßnahmen Preisentwicklung und Wirtschaft beeinflussen. Konsens mit den Sozialpartnern sollte in der Sache helfen - und Demokratie und Gemeinsinn festigen. Das will auch Scholz - sein Motto: «Wir müssen uns unterhaken und zusammenhalten.»

Forderungen der Gewerkschaften:

DGB-Chefin Yasmin Fahimi machte sich am Sonntag für eine Preisgarantie für einen Grundbedarf an Strom und Gas stark. Der «Bild am Sonntag» sagte sie, der Grundbedarf solle für jeden Erwachsenen und jedes Kind im Vorhinein festgelegt werden. Ähnliches forderte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Grundsätzlich wehren sich die Gewerkschaften gegen die Vorstellung, Preissteigerungen würden durch höhere Löhne angeheizt. So sagte Verdi-Chef Frank Werneke: «Dauerhaft steigende Preise müssen durch dauerhaft wirkende Tariflohnsteigerungen vollumfänglich ausgeglichen werden.» Das gelte in der Folge auch für Rentenanpassungen und den Mindestlohn. Bei den Entlastungen müsse nachgeliefert werden.

Einwurf des Bundespräsidenten:

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warb für weitere Entlastungen. «Das haben wir noch nicht erlebt, vierfach höhere Preise, nicht nur an den Tankstellen, sondern auch vor allen Dingen für das Gas», sagte Steinmeier am Wochenende im ZDF. Man werde Instrumente überlegen müssen, wie man vor allem Geringverdienern das Leben erleichtere.

Der Kanzler zeigt sich zurückhaltend. Scholz wies auf die bisherigen Entlastungsmaßnahmen in Höhe von 30 Milliarden Euro hin. «Gerade in diesem Augenblick werden alle diese Maßnahmen ausgerollt», sagte er. «Das wird jetzt nicht gehen, indem man ein 30-Milliarden-Euro-Paket beschließt (...) und dann diskutieren wir schon wieder die nächsten.»

Umstrittene Einmalzahlung:

Wenig Begeisterung hatte es bei den Gewerkschaften ausgelöst, als berichtet wurde, Scholz wolle die Beschäftigten mit einer Einmalzahlung entlasten - zu zahlen durch die Unternehmen, flankiert durch den Staat, der auf Steuern und Abgaben auf die Geldspritze verzichten würde, und ein Stück weit ausgeglichen durch gewerkschaftliche Lohnzurückhaltung in Tarifverhandlungen. Scholz wies entsprechende Berichte nun aber als «eine freie Erfindung» zurück. «Wir haben uns natürlich Gedanken gemacht, wie wir Aktivitäten von Gewerkschaften unterstützen können, gerade wenn die Preise im nächsten Jahr steigen», sagte er. «Aber niemand schlägt vor, dass deshalb die eigentlichen Lohnerhöhungen ausbleiben sollen.»

Grüne für Umverteilung:

Grundsicherungsbeziehende und generell kleine und mittlere Einkommen müssten entlastet werden - so fordern es die Grünen. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Andreas Audretsch hat dafür einen Beitrag durch die besonders Wohlhabenden ins Spiel gebracht. «Alle müssen sich nun die Frage stellen, wie sie einen Beitrag leisten können», sagte Audretsch. «Das gilt vor allem für die, die sehr viel haben, für die Reichsten.»

FDP gegen mehr Ausgaben und höhere Steuern

Bundesfinanzminister Christian Lindner lehnt mehr Schulden und höhere Steuern aber ab. Dies «wäre toxisch und ein Verarmungsprogramm», sagte der FDP-Chef der Deutschen Presse-Agentur. Auch massive Erhöhungen der Staatsausgaben kommen für ihn nicht in Frage. «Ein zentraler Beitrag des Staates ist, durch solide Finanzen zusätzlichen Preisdruck zu vermeiden.» Statt nur die Folgen der Inflation zu dämpfen, müsse der Staat die Ursachen bekämpfen. «Zugleich sollten wir preistreibende Subventionen reduzieren und alles tun für günstigere Energie.»

Unterschiedliche Akzente der Ökonomen:

«Nur höhere Löhne und Sozialleistungen können nachhaltig den Schaden für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen kompensieren», sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der dpa. Der Wirtschaftsweise Achim Truger sagte der Mediengruppe Bayern hingegen, es sollte keine übermäßigen Lohnsteigerungen geben. Eine Fortsetzung der Corona-bedingten Lohnzurückhaltung sei allerdings auch nicht sinnvoll.

«Grundsätzlich wäre es auch möglich, durch befristete Energiesteuersenkungen oder Preisdeckel die Inflation zu dämpfen», so Truger. «Das wäre aber kontraproduktiv, weil dadurch die aktuell so wichtigen Einsparanreize vermindert würden.»

Den Arbeitgebern ist am meisten daran gelegen, dass die Unternehmen nicht in noch schwereres Fahrwasser geraten - auch wenn sie unter Lieferengpässen und Energiepreisen leiden.

Weitere Vorschläge:

Das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene soziale Klimageld dürfte bei der Konzertierten Aktion wieder auf den Tisch kommen. Einmal im Jahr soll dem Vorschlag zufolge so ein Klimageld gezahlt werden - für Alleinstehende, die weniger als 4000 Euro brutto im Monat verdienen, und für Verheiratete mit zusammen weniger als 8000 Euro. Der CDU-Sozialflügel forderte eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Die neuen Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan verlangten in der «Süddeutschen Zeitung» (Montag) einen Preisdeckel für Grundnahrungsmittel. (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband wendet sich in einer Mitteilung gegen jedwede Positionen und Aktivitäten, die sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Das Gastgewerbe in Deutschland stehe für Gastfreundschaft, Toleranz und Vielfalt.

Der Bundestag hat die Gesetze zur Verbesserung der Rückführung von Geflüchteten und zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts beschlossen. Darin enthalten sind auch einige Regelungen, die die Beschäftigungsmöglichkeiten von bereits in Deutschland lebenden Geflüchteten mit Bleibeperspektive erleichtern.

Die Lokführergewerkschaft GDL hat die Beschäftigten der Deutschen Bahn zum nächsten Streik aufgerufen. Dieser werde im Personenverkehr am frühen Mittwochmorgen um 2.00 Uhr beginnen und bis Montag kommender Woche, 18.00 Uhr andauern, teilte die Gewerkschaft in der Nacht zu Montag mit.

Gegen lebhafte Debatten im Bundestag hat niemand etwas einzuwenden - gegen ungebührliches Verhalten schon. Dann setzt es vom Präsidium einen Ordnungsruf. Das geschieht derzeit ziemlich oft. Mehr als die Hälfte aller Ordnungsrufe entfiel im vergangenen Jahr auf nur eine Partei.

Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen wollen sich für den Erhalt des von der Schließung bedrohten Musikclubs Molotow im Hamburger Stadtteil St. Pauli einsetzen. Hintergrund ist die Kündigung des Mietvertrags, weil an der Stelle in St. Pauli ein Hotel entstehen soll.

Weniger Zucker, Fett und Salz beim Essen vor allem für Kinder, mehr Bio und Regionales beim Mittagstisch in der Kantine: Das Bundeskabinett beschloss dazu jetzt eine Strategie​​​​​​​ mit Zielen und Maßnahmen. Eine wichtige Rolle sollen Kantinen und Mensen in Unternehmen und anderen Einrichtungen spielen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will den Kampf gegen den Arbeitskräftemangel in Deutschland intensivieren. Dazu gehört auch, dass die Bundesregierung die Möglichkeit eines Rechtsanspruchs auf flexibles Arbeiten für Beschäftigte prüfen solle, wie aus dem Entwurf des neuen Jahreswirtschaftsberichts hervorgeht.

Die Arbeitgeber in Deutschland lehnen einen Rechtsanspruch auf Homeoffice ab. In der Regel werde diese Frage im guten Einvernehmen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geregelt. Ein Gesetz brauche es nicht, so Steffen Kampeter.

Bekommen Kinder ihr Mittagessen in Kita oder Schule künftig vom Staat bezahlt? Ein Bürgerrat fordert genau das. Rot-Grün in Niedersachsen findet den Vorschlag gut, bremst aber trotzdem die Erwartungen.

Sterneköche und Frankreichs Gastgewerbe mobilisieren gegen das neue Migrationsgesetz, das, anders als zunächst geplant, die Integration von Beschäftigten ohne Aufenthaltstitel kaum erleichtert. Jetzt protestieren Sterneköche, die die Integration von Küchenpersonal ohne Papiere fordern und appellieren: Wir brauchen Migranten.