Spahn warnt vor zweiter Corona-Welle: "Ballermann darf kein zweites Ischgl werden"

| Politik Politik

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Bürger vor Leichtsinn im Umgang mit der Corona-Pandemie gewarnt. «Die Gefahr einer zweiten Welle ist real», sagte Spahn am Montag in Berlin bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler. Wachsamkeit ist für Regierung und RKI das Gebot der Stunde. Übermut wie am Wochenende auf der spanischen Urlaubsinsel Mallorca dürfe es nicht geben. Spahn: «Wir dürfen das Erreichte nicht gefährden.» In Deutschland seien derzeit vor allem regionale und lokale Ausbrüche jederzeit möglich. Doch sei das Land gut gerüstet.

ZWEITE INFEKTIONSWELLE: Mit rund 5000 bekannten Fällen aktuell aktiver Infektionen seien die Zahlen derzeit in Deutschland «auf niedrigem Niveau», so Spahn. Weiter komme es vor allem auf das Verhalten der Menschen an. An alle Bürgerinnen und Bürger gewandt sagte er: «Bitte, halten Sie Abstand. Bitte, halten Sie sich an die empfohlenen Hygienemaßnahmen. Und bitte, tragen Sie überall dort, wo es in geschlossenen Räumen empfohlen ist, die Alltagsmasken.» Gleichzeitig betonte Spahn, es müsse nicht automatisch mit einer zweiten Welle im Herbst oder Winter gerechnet werden. «Die meisten wissen, dass Gruppenreisen zum Ballermann, dass Großveranstaltungen, dass Umarmen zur Begrüßung oder das Einkaufen ohne Maske momentan keine guten Ideen sind», sagte Spahn. «Wir haben besser gelernt, mit dem Virus zu leben, und wir wissen auch mehr über dieses Virus.»

FEIERN: Mit Blick auf Mallorca mahnte Spahn: «Wir müssen sehr aufpassen, dass der Ballermann nicht ein zweites Ischgl wird.» An der Playa de Palma hatten Hunderte Touristen unter Missachtung der Vorsichtsmaßnahmen hemmungslos gefeiert. Spahn sagte, gemeinsames Feiern erhöhe das Risiko. «Ich bin jetzt wirklich kein Spielverderber oder Spaßverderber oder Feierverächter - aber es ist halt grad nicht die Zeit dafür.» Während der Rückreise im Flugzeug und dann zu Hause steigerten diese Menschen dann auch das Risiko für viele andere. Feiern im österreichischen Skiort Ischgl gelten als ein Ausgangspunkt für die Verbreitung von Sars-CoV-2 auch in Deutschland.
 

MEINUNG DER BEVÖLKERUNG: Eine zweite Welle halten laut einer Umfrage im Auftrag der Regierung 40 Prozent der Menschen in Deutschland für wahrscheinlich. 37 Prozent sehen eine 50-prozentige Chance, 21 Prozent halten sie für unwahrscheinlich (Ostdeutschland: 24 Prozent, Westdeutschland: 21 Prozent). Zwei von drei Bundesbürgern haben die Sorge, sich selbst mit dem Virus zu infizieren. In der Rückschau halten rund zwei Drittel die im März von der Politik beschlossenen Anti-Corona-Maßnahmen für richtig. Jeweils 17 Prozent werten sie als zu streng beziehungsweise nicht streng genug. 37 Prozent sagen, es habe auch positive Dinge wie etwa Entschleunigung infolge der Krise gegeben.

WEITERE AUSWIRKUNGEN: 89 Prozent der Bürger haben im Verlauf der Krise viel oder etwas weniger soziale Kontakte. 17 Prozent der abhängig Beschäftigten wurden seit Februar im Job zeitweise freigestellt oder beurlaubt, 4 Prozent schieden aus ihrem Beruf aus. Bei den Selbstständigen kam es seit Februar bei 22 Prozent zur Einstellung ihrer Tätigkeit, bei 39 Prozent zu Einschränkungen. Als Gründe nannten von diesen Betroffenen 57 Prozent gesetzliche Vorgaben, 45 Prozent betriebliche Gründe und 17 Prozent Sorge vor Infektionen. 39 Prozent setzten ihre Tätigkeit unverändert fort. Das monatliche Haushaltsnettoeinkommen sank seit Februar bei 20 Prozent aller Befragten - bei 15 Prozent wegen Corona, bei 5 Prozent aus anderen Gründen.

TESTS: Allein in der vergangenen Woche wurden laut Spahn etwa knapp 500 000 Menschen auf das Virus getestet - 175 000 mehr als noch vor vier Wochen. Vor allem in Fällen von lokalen Ausbrüchen seien Reihentestungen sinnvoll. Laut Wieler können in Deutschland derzeit 1,1 Millionen Menschen pro Woche auf Corona getestet werden.

WEITERE ANTI-VIRUS-SCHRITTE: Mehr als 15,5 Millionen Menschen haben die deutsche Corona-Warn-App heruntergeladen. In dieser Woche soll sie auch auf Türkisch geschaltet werden. Die Kliniken haben laut Spahn nach wie vor genügend Kapazitäten für Intensivbehandlungen; diese könnten flexibel regional hoch- und heruntergefahren werden.

WELTWEITE DIMENSION: Weltweit sei die Zahl der Corona-Fälle innerhalb von nur fünf Tagen von 11 auf mehr als 12 Millionen gestiegen, sagte der RKI-Präsident. «Diese Pandemie ist weltweit wirklich sehr, sehr stark unterwegs», sagte Wieler. «Wir sehen vor allen Dingen einen Anstieg von neuen Fällen aus Ländern, die trotz steigender Fallzahlen die Maßnahmen wie zum Beispiel Kontaktbeschränkungen lockern beziehungsweise gelockert haben.» Wieler nannte insbesondere Indien, Pakistan, Südafrika, Israel, die USA und einige Länder in Osteuropa.
Teilweise seien die Lockerungen bereits wieder zurückgenommen worden.

INTERNATIONALE SCHRITTE: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft werde auch vom Kampf gegen die Corona-Krise geprägt sein, kündigte Spahn an. Dem diene auch eine informelle Tagung der EU-Gesundheitsminister an diesem Donnerstag. Europa solle zudem unabhängiger werden von der Produktion im Gesundheitsbereich etwa in China. Den angemeldeten Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnete Spahn als «herben Rückschlag». (dpa)


Zurück

Vielleicht auch interessant

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband wendet sich in einer Mitteilung gegen jedwede Positionen und Aktivitäten, die sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Das Gastgewerbe in Deutschland stehe für Gastfreundschaft, Toleranz und Vielfalt.

Der Bundestag hat die Gesetze zur Verbesserung der Rückführung von Geflüchteten und zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts beschlossen. Darin enthalten sind auch einige Regelungen, die die Beschäftigungsmöglichkeiten von bereits in Deutschland lebenden Geflüchteten mit Bleibeperspektive erleichtern.

Die Lokführergewerkschaft GDL hat die Beschäftigten der Deutschen Bahn zum nächsten Streik aufgerufen. Dieser werde im Personenverkehr am frühen Mittwochmorgen um 2.00 Uhr beginnen und bis Montag kommender Woche, 18.00 Uhr andauern, teilte die Gewerkschaft in der Nacht zu Montag mit.

Gegen lebhafte Debatten im Bundestag hat niemand etwas einzuwenden - gegen ungebührliches Verhalten schon. Dann setzt es vom Präsidium einen Ordnungsruf. Das geschieht derzeit ziemlich oft. Mehr als die Hälfte aller Ordnungsrufe entfiel im vergangenen Jahr auf nur eine Partei.

Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen wollen sich für den Erhalt des von der Schließung bedrohten Musikclubs Molotow im Hamburger Stadtteil St. Pauli einsetzen. Hintergrund ist die Kündigung des Mietvertrags, weil an der Stelle in St. Pauli ein Hotel entstehen soll.

Weniger Zucker, Fett und Salz beim Essen vor allem für Kinder, mehr Bio und Regionales beim Mittagstisch in der Kantine: Das Bundeskabinett beschloss dazu jetzt eine Strategie​​​​​​​ mit Zielen und Maßnahmen. Eine wichtige Rolle sollen Kantinen und Mensen in Unternehmen und anderen Einrichtungen spielen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will den Kampf gegen den Arbeitskräftemangel in Deutschland intensivieren. Dazu gehört auch, dass die Bundesregierung die Möglichkeit eines Rechtsanspruchs auf flexibles Arbeiten für Beschäftigte prüfen solle, wie aus dem Entwurf des neuen Jahreswirtschaftsberichts hervorgeht.

Die Arbeitgeber in Deutschland lehnen einen Rechtsanspruch auf Homeoffice ab. In der Regel werde diese Frage im guten Einvernehmen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geregelt. Ein Gesetz brauche es nicht, so Steffen Kampeter.

Bekommen Kinder ihr Mittagessen in Kita oder Schule künftig vom Staat bezahlt? Ein Bürgerrat fordert genau das. Rot-Grün in Niedersachsen findet den Vorschlag gut, bremst aber trotzdem die Erwartungen.

Sterneköche und Frankreichs Gastgewerbe mobilisieren gegen das neue Migrationsgesetz, das, anders als zunächst geplant, die Integration von Beschäftigten ohne Aufenthaltstitel kaum erleichtert. Jetzt protestieren Sterneköche, die die Integration von Küchenpersonal ohne Papiere fordern und appellieren: Wir brauchen Migranten.