Der Teil-Lockdown ab kommender Woche in Deutschland stößt in der Hotel- und Gastronomie-Branche auf Unverständnis. «Viele Unternehmer der Hotellerie und Gastronomie schwanken zwischen Wut und Verzweiflung», sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes «Die Familienunternehmer», Albrecht von der Hagen, der Deutschen Presse-Agentur. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) warnte, Zehntausenden Unternehmen drohe ohne umfassende finanzielle Hilfen die Pleite. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) forderte die betroffenen Unternehmen zu rechtlichen Schritten auf. Kanzlerin Angela Merkel will an diesem Donnerstag in einer Regierungserklärung die Corona-Politik der Bundesregierung erläutern.
Im Anschluss an die etwa 20-minütige Rede ist eine anderthalbstündige Debatte im Bundestag geplant. Am Abend schalten sich Merkel und ihre EU-Kollegen per Video zusammen. Angesichts der Wucht der zweiten Corona-Welle in ganz Europa wollen die EU-Staats- und Regierungschefs eine gemeinsame Linie bei Test- und Impfstrategien suchen.
Bund und Länder hatten am Mittwoch die einschneidensten Maßnahmen seit dem großen Lockdown im Frühjahr beschlossen. Ab Montag sollen unter anderem Hotels, Restaurants, Kinos und Theater für den gesamten Monat November schließen. In dieser Zeit dürfen sich auch nur wenige Menschen privat treffen. Kanzlerin Angela Merkel rief zu einer «nationalen Kraftanstrengung» auf und betonte: «Wir müssen handeln, und zwar jetzt. Und zwar müssen wir handeln, um eine akute nationale Gesundheitsnotlage zu vermeiden.» Schulen, Kitas und Geschäfte sollen aber anders als im Frühjahr offen bleiben.
Besonders stark von den neuen Regeln betroffene Firmen sollen große Teile ihres Umsatzausfalls vom Bund ersetzt bekommen. Nothilfen in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro sind dafür eingeplant. «Das ist eine große Unterstützung, so dass wir hoffen, dass alle Unternehmen diesen Monat gut durchstehen können», sagte Vizekanzler Olaf Scholz am Mittwochabend in einem ZDF-«spezial».
Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges warnte dennoch vor dem Aus für zahlreiche Betriebe. «Durch den zweiten Lockdown wird ein Drittel der 245 000 Betriebe den Winter nicht überstehen. Ohne umfassende Entschädigungshilfe droht ihnen die Pleite», sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag). Viele Unternehmen zögen bereits eine Klage in Betracht. Unterstützung dafür kam von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP). Er sagte der «Rheinischen Post» (Donnerstag): «Ich rufe alle Betroffenen auf, rechtliche Mittel gegen diese Maßnahmen einzulegen.»
Die Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel warnte ebenfalls vor einer Pleitewelle. Stand Ende Oktober seien mehr als 8300 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutschland insolvenzgefährdet, heißt es in einer Analyse, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Das seien 14,5 Prozent der untersuchten Betriebe.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten forderte eine stärkere finanzielle Unterstützung der Beschäftigten, die jetzt in die Kurzarbeit müssen. «Die angekündigten Finanzhilfen von zehn Milliarden Euro für November sollte auch dafür genutzt werden, die Lohneinbußen der Beschäftigten auszugleichen, die in Kurzarbeit geschickt werden», sagte der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der «Rheinischen Post» sagte er: «Für viele Betriebe im Gastgewerbe kommt der neuerliche Lockdown ohne schnelle und massive Hilfe einem Todesstoß gleich.»
Auch Gastronomen wie Isa Fiedler, Sprecherin der Düsseldorfer Altstadtwirte und Inhaberin der Kneipe «Knoten», äußerten sich entsprechend: «Der Mensch ist ein soziales Wesen. Es werden sich nicht alle einschließen», sagte Fiedler der Deutschen Presse-Agentur. Mit den vorhandenen Abstandsregeln für Tische, sowie Hygienevorschriften und guter Belüftung sei es in der Gastronomie sicherer, als bei vielen Besuchen im heimischen Wohnzimmer. «Wir bieten alles, wir bieten es sicher - wie man an den Infektionszahlen sehen kann», betonte Fiedler.
«Das ist die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg», sagte der Chef der Düsseldorfer Hausbrauerei «Füchschen», Peter König, der Deutschen Presse-Agentur. Bereits die geltende Sperrstunde in Düsseldorf habe dramatische Auswirkungen: «Die Stadt ist tot», verdeutlichte er. Das Gästeaufkommen sei stark gesunken, Reservierungen storniert und Weihnachtsfeiern abgesagt. Er erwarte deshalb auch für den Dezember keine große Besserung. «Ich fühle mich wie ein Frühstücksdirektor in der Rente.»
Die Münchner Innenstadtwirte haben sich «fassungslos und bestürzt» über den Beschluss zu einem einmonatigen begrenzten Lockdown geäußert. «Selbst das Robert Koch-Institut sieht die Infektionsgefahr in der Gastronomie bei lediglich 0,5 Prozent», sagt Gregor Lemke, Chef des Augustiner Klosterwirt und Vorsitzender des Vereins der Münchner Innenstadtwirte, am Donnerstag. «Deutlich hat das RKI erklärt, dass Gaststätten nicht die Treiber der Infektion sind.» Die Gastronomen achteten intensiv und mit großem Aufwand an Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen darauf, das eigene Personal und die Gäste zu schützen. «Dass wir jetzt trotzdem einen neuerlichen Lockdown hinnehmen müssen, ist ein Schock.»
Die vorübergehende Zwangsschließung werde die Situation der ohnehin gebeutelten Branche verschlimmern. «Unsere über Generationen gewachsene Wirtshauskultur ist in Gefahr», sagte Lemke. Viele hätten schon aufgeben müssen. «Wenn es so weitergeht, werden 30 bis 40 Prozent der Unternehmen pleitegehen.» Die Münchner Wirte forderten deshalb rasch Finanzhilfen. «Diese müssen schnell und effektiv erfolgen, sonst gibt es ein großes Wirtshaussterben.»
«Ich bin tief betroffen von diesem zweiten Lockdown für die Gastronomie. Dafür habe ich kein Verständnis, denn unsere Branche ist nicht schuld daran, dass die Zahl der mit Corona-Infizierten Menschen so stark steigt. Wir haben alle viel Geld in Hygienekonzepte investiert», sagte Dirk Block dem «Hamburger Abendblatt». Der Unternehmer betreibt sieben L'Osteria Restaurants in Norddeutschland. Zusammen mit führenden Vertreter der Gastrobranche, darunter auch TV-Koch Tim Mälzer, hatte er noch einen «Brandbrief» an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geschrieben.