Chronisch krank im Job: Gehen Diabetes, Rheuma oder Depression den Arbeitgeber etwas an?

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Die eigene Gesundheit ist etwas höchst Persönliches, aus gutem Grund gilt für Ärzte die Schweigepflicht und steht auf der Krankschreibung für den Arbeitgeber keine Diagnose. Menschen mit einer chronischen Erkrankung stehen trotzdem oft vor der Frage: Soll ich meiner Chefin, meinem Teamleiter, meinen Kollegen offenbaren, dass ich nicht gesund bin?

49 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland haben chronische Krankheiten, ermittelte das Robert-Koch-Institut in seiner jüngsten «Gesundheit in Deutschland»-Studie. Rheuma und Diabetes gehören dazu, Depressionen, Epilepsie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder ein ständig schmerzender Rücken. Manche schränken bei guter Behandlung im Alltag kaum ein, bei anderen sind die Symptome offensichtlich.

So unterschiedlich die Krankheitsbilder sind, eint viele Betroffene doch die Unsicherheit, ob sie im Job darüber sprechen sollen, dass sie krank sind. Sie haben Angst, als weniger leistungsfähig abgestempelt zu werden. Nicht berücksichtigt zu werden, wenn interessante Projekte anstehen. Weniger Karrierechancen zu haben. Im Team wegen häufigerer Krankheitstage schlecht dazustehen.

Im Bewerbungsgespräch darf nicht nach Krankheiten gefragt werden

Zur Offenheit verpflichtet sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur in ganz wenigen Fällen. «Über eine chronische Erkrankung informieren müssen sie nur, wenn dadurch die Eignung für die Tätigkeit massiv beeinträchtigt wird und sich die Auswirkungen nicht durch den Einsatz von Hilfsmitteln beheben lassen», sagt Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Köln. Wenn beispielsweise ein Dachdecker an Epilepsie erkrankt, muss er dem Chef Bescheid sagen - zu groß ist das Absturzrisiko.

Im Vorstellungsgespräch sind deshalb auch keine allgemeinen Fragen nach der Gesundheit erlaubt. Werden sie doch gestellt, «darf geschwiegen und auch gelogen werden», sagt Oberthür. Auch bei einer Einstellungsuntersuchung dürfe es nur darum gehen, «die Eignung für die konkrete Tätigkeit festzustellen», so die Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins.

Für einen Schreibtisch-Job im Büro ist eine Herz-Kreislauf-Erkrankung nicht relevant - und die Frage danach deshalb auch nicht zulässig.

Oft mehr Verständnis als erwartet

Trotzdem kann es gute Gründe für einen offenen Umgang mit einer chronischen Erkrankung geben. «Die Kolleginnen und Kollegen können bestimmte Situationen dann besser einordnen», sagt Anette Wahl-Wachendorf, Vizepräsidentin des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte.

Die Darmerkrankung Morbus Crohn beispielsweise zwingt Betroffene in akuten Phasen immer wieder mit Durchfall auf die Toilette. Das kann zu viel Getuschel im Team führen, wenn niemand die Ursache kennt. Wer offen mit seiner Krankheit umgehe, erlebe oft viel mehr Verständnis und Entgegenkommen als erwartet, sagt die Ärztin.

Chronische Erkrankung: Arbeitsplatz lässt sich anpassen

Wer Einschränkungen nicht thematisiert, vergibt außerdem die Chance, sich das Arbeitsleben etwas zu erleichtern. Oft kann nämlich der Arbeitsplatz mit Hilfsmitteln angepasst werden. Für einen Rheumatiker zum Beispiel mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch oder einem Headset fürs Telefon.

Aber es gibt auch die negativen Beispiele: Beschäftigte, denen wegen ihrer Erkrankung am Arbeitsplatz Steine in den Weg gelegt werden, erlebt Arbeitsrechtsanwältin Oberthür immer wieder in ihrer Kanzlei: «Auf die Frage, ob man eine Krankheit offenbaren soll, gibt es deshalb keinen pauschal richtigen Rat.»

Bei der Abwägung helfen kann das Projekt «Sag ich’s?», das von einem Team der Universität Köln entwickelt wurde. Kernpunkt ist ein anonymer Online-Selbsttest. Er stellt viele Fragen - nicht zur konkreten Erkrankung, sondern zu den Bedingungen am Arbeitsplatz, zu möglichen Einschränkungen, zu persönlichen Werten: Wie geht das Unternehmen generell mit Krankheiten um? Hört der Vorgesetzte zu und macht er Mut? Kann man im Team gut andere um Hilfe bitten? Benötigt man Hilfsmittel? Wie beeinträchtigt fühlt man sich von seiner Arbeit?

In der Auswertung erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Auflistung der Punkte, die in ihrer jeweiligen Situation für und gegen Offenheit in Sachen Gesundheit sprechen. Die Entscheidung kann das Online-Tool nicht abnehmen, es soll aber als Reflexionshilfe eine Basis für die eigenen Überlegungen liefern.

Diese Unterstützungsangebote lohnen sich

Unterstützung bekommen Betroffene außerdem beim Betriebs- oder Personalrat, bei Gewerkschaften, Sozialverbänden und Selbsthilfegruppen. Der Betriebsarzt berät, welche Hilfsmittel sinnvoll sein können, und kann auch zum Gespräch mit der Chefin hinzugezogen werden.

Arbeitsmedizinerin Wahl-Wachendorf empfiehlt, das Gespräch «nicht zwischen Tür und Angel, sondern immer in einer guten Gesprächssituation» zu führen. Und: «Nicht gleich alle Einzelheiten zu nennen, sondern das Thema erst allgemeiner anzusprechen und zu schauen, wie der Vorgesetzte reagiert».

Eine Überlegung wert sein kann je nach Schwere der Erkrankung auch ein Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung. Ab einem Behinderungsgrad von 50 Prozent ist man nämlich besser vor Kündigung geschützt: Sie darf dann nur ausgesprochen werden, wenn auch das Integrationsamt zugestimmt hat.

«Man muss eine Schwerbehinderung dem Arbeitgeber nicht offenbaren», sagt Arbeitsrechtlerin Nathalie Oberthür: «Aber man kann den Bescheid für den Fall der Fälle in die Schublade legen.» (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Trotz des konjunkturellen Gegenwinds im Jahr 2024 stellte der Mittelstand in Deutschland eine bemerkenswerte Stabilität unter Beweis, so das KfW-Mittelstandspanels 2025. Während die Zahl der Erwerbstätigen einen neuen Höchstwert erreichte, sehen sich die Unternehmen mit Investitionszurückhaltung, strukturellen Problemen und der Sorge um den Standort Deutschland konfrontiert.

Mobilitätsapps haben sich im Alltag der Smartphone-Nutzer in Deutschland etabliert. Rund drei Viertel (76 Prozent) der Personen, die ein Smartphone besitzen, haben entsprechende Anwendungen installiert, um Routen zu planen, Fahrzeiten abzurufen, Tickets zu buchen oder Sharing-Angebote zu nutzen. Dies geht aus einer repräsentativen Befragung des Digitalverbands Bitkom hervor.

Auch ein mündlich geschlossener Arbeitsvertrag ist wirksam. Schwierig wird es allerdings, wenn sich die Beteiligten im Nachhinein uneinig sind. Doch gibt es eine gesetzliche Bestimmung, die zum Abschluss eines schriftlichen Vertrages verpflichtet?

Das Klischee sagt, die heute über 60-Jährigen seien verantwortungslos mit den Ressourcen umgegangen und äßen zum Beispiel viel Fleisch, die junge Generation sei da ganz anders. Wie ist es wirklich?

Mit der deutschen Wirtschaft geht es nicht bergauf. Das hat Folgen: Immer mehr Familienunternehmen denken über Stellenabbau nach und fordern von der Bundesregierung endlich Entlastungen und Reformen.

Sozialforscher und Arbeitsmarktexperten stellen die gängigen Narrative vom unüberbrückbaren Generationenkonflikt auf dem Arbeitsmarkt infrage. ntgegen verbreiteter Vorurteile legen Forscher dar, dass sich die Generationen in ihrem Engagement, ihren Wünschen zur Arbeitszeit und vor allem in ihren zentralen beruflichen Werten oft ähnlicher sind als gedacht.

Nach Einschätzung der Forscherin Johanna Böttcher von der Universität Vechta zeigen deutsche Konsumenten Interesse an Fisch aus dem Labor. Entscheidend über die Akzeptanz seien unter anderem Geschmack, Geruch und Textur sowie der Preis, sagte Böttcher vor Beginn eines Fischwirtschaftsgipfels in Hamburg. 

Trotz Elternstolz: Gehören Kinder in den Lebenslauf? Manche Mütter und Väter befürchten Nachteile im Bewerbungsprozess. Wann sollte man rechtlich gesehen beim Arbeitgeber Kinder erwähnen?

Der Pro-Kopf-Verbrauch von Eiern in Deutschland hat 2024 einen neuen Höchststand erreicht. Gleichzeitig ist auch der Konsum von Geflügelfleisch im Vergleich zu den Vorjahren merklich gestiegen. Diese Daten stehen im Kontext einer stabilen heimischen Produktion, die jedoch weiterhin durch die sich ausbreitende Geflügelpest beeinflusst wird.

Obwohl fast die Hälfte aller Erwerbstätigen in Deutschland Frauen sind, sind nur 29,1 Prozent der Führungspositionen weiblich besetzt. Warum hinkt Deutschland hinterher?