Kabinett beschließt beispielloses Hilfspaket

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Im Eiltempo hat das Bundeskabinett am Montag die Hilfen für die Wirtschaft zur Bewältigung der Corona-Krise auf den Weg gebracht. Ungewöhnlich war schon der Wochentag, denn die Ministerrunde tagt eigentlich immer mittwochs. Noch ungewöhnlicher war, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Kabinett per Telefonschalte leitete - sie ist selbst in Quarantäne.

Kabinett beschließt Hilfspaket

Mit einem beispiellosen Hilfspaket unterstützt der Bund Familien, Mieter, Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen in der Corona-Krise. Das Kabinett beschloss am Montag gleich mehrere große Schutzschirme und umfangreiche Rechtsänderungen. Damit die Hilfen rasch ankommen, soll im Schnellverfahren der Bundestag bereits am Mittwoch und der Bundesrat am Freitag den Maßnahmen zustimmen. Für die umfangreichen Hilfen fällt nach sechs Jahren ohne neue Schulden die schwarze Null im Bundeshaushalt - das Kabinett beschloss einen Nachtragshaushalt mit einer Neuverschuldung von rund 156 Milliarden Euro. Dafür soll der Bundestag am Mittwoch eine Notfallregelung in der Schuldenbremse in Kraft setzen.

Das Hilfspaket umfasst viele Bereiche: Kleine Firmen und Solo-Selbstständige wie Künstler und Pfleger sollen über drei Monate direkte Zuschüsse von bis zu 15 000 Euro bekommen. Über einen Stabilisierungsfonds sollen Großunternehmen mit Kapital gestärkt werden können, der Staat soll sich notfalls auch an den Firmen beteiligen können. Außerdem sollen Vermieter ihren Mietern nicht mehr kündigen dürfen, wenn diese wegen der Corona-Krise ihre Miete nicht zahlen können. Mit erweiterten Regelungen zur Kurzarbeit sollen Unternehmen zudem Beschäftigte leichter halten können, statt sie in die Arbeitslosigkeit zu schicken.

Was soll gegen Massenarbeitslosigkeit helfen?

Das bewährte Mittel aus der Finanzkrise 2008/2009: Kurzarbeit. Wenn es nichts mehr zu arbeiten gibt, kann ein Unternehmen die Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken - die Bundesagentur für Arbeit übernimmt 60 Prozent des Lohns, bei Menschen mit Kindern 67 Prozent. Die Unternehmen bekommen Sozialbeiträge erstattet. Kurzarbeitergeld kann künftig fließen, wenn nur zehn Prozent der Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sind - statt wie bisher ein Drittel. Auch Zeitarbeitsunternehmen können die Leistung anzeigen.

Wie viele Menschen werden davon betroffen sein?

Die Regierung geht von 2,15 Millionen Fällen von konjunkturellem Kurzarbeitergeld aus - Kostenpunkt: 10,05 Milliarden Euro. In einigen Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie und der Systemgastronomie stocken die Unternehmen das Kurzarbeitergeld auf. Die Gewerkschaften fordern das vehement für alle.

Wie wird kleinen Firmen geholfen?

Ganz kleine Firmen und Selbstständige, Musiker, Fotografen, Heilpraktiker oder Pfleger, die gerade kaum Kredite bekommen, können direkte Finanzspritzen erhalten. Je nach Unternehmensgröße sind das für drei Monate 9000 bis 15 000 Euro. Das Geld solle schnell ankommen, versicherte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Schon Anfang kommender Woche könne es in den Bundesländern sein. Um es zu bekommen, müssen die Betroffenen nur versichern, dass sie durch Corona einen Liquiditätsengpass haben.

Was ist mit größeren Unternehmen?

Für mittelgroße Firmen startete am Montag ein unbegrenztes Kreditprogramm über die staatliche Förderbank KfW. Große Unternehmen wie etwa die Lufthansa sollen notfalls auch durch Verstaatlichungen gerettet werden. Man wolle so wenig wie möglich eingreifen, aber «im Bedarfsfalle auch handeln», sagte Altmaier. Die Bundesregierung will den Firmen milliardenschwere Garantien geben und auch Schuldtitel übernehmen. Wenn die Krise vorbei ist, sollen sie wieder privatisiert werden. Die Firmen in Deutschland können zudem ihre Steuern später begleichen.

Wie teuer sind diese Rettungsmaßnahmen?

Die Bundesregierung will dafür in diesem Jahr so viele Schulden aufnehmen wie nie. Das Finanzministerium rechnet mit Kosten für die Hilfsprogramme von 122,8 Milliarden Euro. Zugleich kommen wohl 33,5 Milliarden Euro weniger Steuern rein. Deshalb plant Minister Olaf Scholz (SPD) eine Neuverschuldung von 156,3 Milliarden Euro. Das sind ungefähr 100 Milliarden mehr als die Schuldenbremse im Grundgesetz erlaubt. Die Regelung soll deshalb am Mittwoch im Bundestag erst einmal außer Kraft gesetzt werden.

Welche Hilfen gibt es für die Bürger?

Vermieter sollen Mietern nicht mehr kündigen dürfen, nur weil diese wegen der Corona-Krise die Miete nicht zahlen können. Gelten soll dies zunächst für Mietschulden aus dem Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2020. Nachweisen soll man das nicht groß müssen: «Der Zusammenhang zwischen Covid-19-Pandemie und Nichtleistung wird vermutet», heißt es im Kabinettsbeschluss. Die Verpflichtung der Mieter zur Zahlung der Miete soll aber im Grundsatz bestehen bleiben.

Was soll im sozialen Bereich noch geschehen?

Bei Anträgen auf Hartz IV sollen die Vermögensprüfung und die Prüfung der Höhe der Wohnungsmiete für ein halbes Jahr ausgesetzt werden. Die Regierung rechnet damit, dass es bis zu 1,2 Millionen zusätzliche Grundsicherungsbezieher geben wird - und dadurch zehn Milliarden Euro Mehrkosten. Familien mit Einkommenseinbrüchen sollen leichter an den Kinderzuschlag kommen: Geprüft werden soll statt des Einkommens aus den letzten sechs Monaten nur das vom letzten Monat. Eltern mit wegbrechendem Einkommen wegen Kinderbetreuung sollen Hilfen bekommen.

Welche weiteren Neuregelungen wurden angestoßen?

Beschlossen wurden eine ganze Reihe weiterer Schritte, etwa eine große Finanzspritze für die Krankenhäuser von mehr als drei Milliarden Euro. Der Bund bekommt mehr Kompetenzen beim Seuchenschutz, das Insolvenzrecht wird gelockert, so dass Firmen nicht so schnell pleite gehen. Für besonders wichtige Branchen gibt es auch Lockerungen beim Arbeitszeitgesetz.

Gilt das alles sofort?

Nein, aber so schnell wie möglich. Der Bundestag soll den Gesetzesänderungen am Mittwoch zustimmen, der Bundesrat kommt am Freitag zu einer Sondersitzung zusammen - wahrscheinlich im kleinen Kreis mit einem Kabinettsmitglied pro Land. Altmaier sagte, in großen Notfällen könne aber auch schon vor Beginn der kommenden Woche Geld fließen oder Banken könnten bereits Kredite vergeben.

Gibt es Kritik an den Plänen?

Reichlich - auch weil noch völlig unsicher ist, ob die Maßnahmen ausreichen. Niemand weiß, wie lange das öffentliche Leben gelähmt ist und wie sehr die Unternehmen wirklich leiden. Ein Hauptkritikpunkt: Das Kurzarbeitergeld sei für Menschen mit geringen Einkommen zu wenig, sie kämen mit 60 Prozent ihres Gehalts nicht über die Runden. Viele soziale und kulturelle Einrichtungen fürchten zudem bundesweit das Aus. Große Sorgen machen sich Experten in der Krise um Menschen mit Behinderungen, Obdachlose, Arme oder auch Prostituierte.

Verstimmungen zwischen den Ländern

Nach dem Bund-Länder-Beschluss zu Kontaktverboten verteidigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder das Ausscheren seines Landes. Das sei eine «sehr kleine Sache», sagte er am Montag im ZDF-«Morgenmagazin». Die Betroffenheit der Länder sei unterschiedlich. Er habe schon am Freitag über Ausgangsbeschränkungen entschieden, das sei eine angemessene und notwendige Entscheidung gewesen. Bund und Länder hatten am Sonntag ein Kontaktverbot beschlossen: Ansammlungen von mehr als zwei Personen werden mit wenigen Ausnahmen verboten. Bei den Bund-Länder-Beratungen soll Söder Kritik anderer Ministerpräsidenten bekommen haben. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) wandte sich am Montag im Deutschlandfunk allgemein gegen «Machtspiele und Schaulaufen in so einer Situation».

Kontaktverbote und Kontrollen

Die Polizei kontrolliert in den Bundesländern die am Sonntag beschlossenen Kontaktverbote und weiteren Beschränkungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie. «Wie in den letzten Tagen auch sind wir heute mit erhöhter Präsenz unterwegs», sagte am Montag beispielsweise eine Sprecherin der Polizei Hannover am Montag. Im Saarland sagte ein Polizeisprecher zur dort bereits seit dem Samstag geltenden Ausgangsbeschränkung: «Sie wird im Großen und Ganzen eingehalten.» Am Wochenende habe es «noch ein paar Auffälligkeiten» gegeben, bei denen die Polizei eingeschritten sei und bei «Uneinsichtigkeit» auch Anzeigen erstattet habe. Aber: «Der Großteil der Bevölkerung hat verstanden, was gemeint ist und hält sich auch daran.»

Regierung Lettlands in Quarantäne

Wie der Bundeskanzlerin ergeht es in Lettland einem Großteil der Regierung. Dort haben sich 9 von 13 Kabinettsmitglieder auf Anraten der Gesundheitsbehörden in häusliche Quarantäne begeben. Nach Angaben der Staatskanzlei in Riga ist auch Ministerpräsident Krisjanis Karins darunter. Die Regierungsarbeit werde aus der Ferne ohne persönliche Treffen fortgesetzt, hieß es. Hintergrund ist die Infizierung eines Abgeordneten des lettischen Parlaments, der Kontakt mit Regierungsvertretern gehabt hatte.

Corona hat Börsen im Griff

Die Börsen in Europa kannten am Montag erneut nur eine Farbe: tiefes Rot - gleich kräftiges Minus. Der deutsche Leitindex Dax verlor bis zum Mittag rund 300 Punkte - zum Auftakt waren es allerdings noch deutlich mehr gewesen.

Auch eine Folge der Corona-Krise: Die Deutsche Bank schließt als Sicherheitsmaßnahme vorübergehend über 200 Filialen in Deutschland für den Kundenverkehr. Von diesem Dienstag an werde das bundesweite Filialnetz bis auf Weiteres von mehr als 500 auf rund 290 verkleinert, teilte Deutschlands größtes Geldhaus am Montag in Frankfurt mit. Ziel sei es, dennoch für Kunden im ganzen Bundesgebiet gut erreichbar zu sein. Bei Schließung eines Standortes werden dessen Dienstleistungen von den nächstgelegenen Deutsche-Bank-Filialen oder vom mobilen Vertrieb übernommen.

Schlechte Aussichten für Wirtschaft und Arbeitsmarkt

Die Coronavirus-Krise könnte Deutschland nach Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts mehr als eine halbe Billion Euro und mehr als eine Million Jobs kosten. «Die Kosten werden voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt ist», sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest am Montag. Statt eines leichten Wachstums wird die Wirtschaft demnach deutlich schrumpfen. Der Unterschied könnte je nach Szenario 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte betragen. «Das entspricht Kosten von 255 bis 729 Milliarden Euro», sagte Fuest. Auch am Arbeitsmarkt werde es zu «massiven Verwerfungen» kommen. Bis zu 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs könnten abgebaut werden, mehr als 6 Millionen Menschen von Kurzarbeit betroffen sein.

Verschiebung der Olympischen Spiele in Debatte

Die Anzeichen für eine historisch einmalige Verschiebung von Olympischen Sommerspielen mehren sich. Nachdem das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Sonntag erstmals Gedankenspiele dieser Art zugelassen und sich selbst einen Vier-Wochen-Zeitraum für die Entscheidung gegeben hatte, sprach auch Japans Premierminister Shinzo Abe von einer Verschiebung der Sommerspiele 24. Juli bis 9. August 2020 in Tokio. Vor dem Parlament in Tokio sagte er am Montag, dass damit gerechnet werden müsse.

IOC-Präsident Thomas Bach wandte sich in einer persönlichen Email an die Athletinnen und Athleten in aller Welt und warb um Verständnis für die schwierige Entscheidung, die Olympischen Spiele möglicherweise verschieben zu müssen. «Menschenleben haben Vorrang vor allem, auch vor der Durchführung der Spiele. Das IOC will Teil dieser Lösung sein.» (dpa)


 

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