Gentechnik auf dem Teller? EU-Kommission präsentiert Lockerungspläne

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Viele gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel sollen in der EU künftig einfacher erforscht und ohne spezielle Kennzeichnung verkauft werden können. Die EU-Kommission schlug am Mittwoch in Brüssel vor, entsprechende Züchtungen von den strengen Gentechnik-Regeln auszunehmen, wenn die neuen Pflanzen auch durch herkömmliche Züchtungsmethoden hätten entstehen können.

Für sie gelten aber weiterhin dieselben Sicherheitsvorgaben wie für Züchtungen, die etwa durch Kreuzung und Auslese entstanden sind. Im Zweifel kann eine etwa durch die Gen-Schere Crispr/Cas veränderte Pflanze nicht von einer natürlichen Züchtung unterschieden werden. Mit der Gen-Schere sind sowohl kleine als auch größere Eingriffe möglich. Für weitgehendere Eingriffe in Pflanzen gelten auch in Zukunft die strengen EU-Gentechnik-Regeln, etwa, wenn artfremde Gene in eine Pflanze eingebracht werden, beispielsweise Gene aus einem Bakterium in Mais.

Durch den sicheren Einsatz der neuen Gentechnikverfahren hätten Landwirte Zugang zu widerstandsfähigeren Pflanzen, die etwa weniger Pestizide benötigten, sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Zudem erhoffen sich die Befürworter von lockereren Regeln schnellere Ergebnisse bei der Zucht von Pflanzen, die etwa mehr Nährstoffe haben oder besser mit Trockenheit zurechtkommen. Zahlreiche Forschende und führende wissenschaftliche Organisationen drängen auf eine Deregulierung und sehen darin kein erhöhtes Risiko für Menschen und Umwelt.

Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik macht sich derweil Sorgen um sein Geschäftsmodell: «Das ist ein Angriff auf die "Ohne Gentechnik"- und die Bio-Wirtschaft, die zusammen allein in Deutschland für über 30 Milliarden Euro Umsatz stehen», sagte Bernhard Stoll, Vorstandsmitgliedsmitglied des Verbandes.

Kritiker befürchten zudem, dass Großkonzerne etwa über Patente noch mehr Einfluss auf unsere Lebensmittel bekommen könnten. Matin Qaim von der Uni Bonn hält dem entgegen: «Die Dominanz weniger Großkonzerne im Bereich der Gentechnik kommt vor allem dadurch zustande, dass die Zulassungsverfahren so extrem langwierig und teuer sind.» Mit einer Deregulierung könnten auch kleine Firmen und öffentliche Einrichtungen wieder mitspielen, so der Professor für Agrarökonomie.

Weiterere Kritikpunkte bestehen darin, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sich künftig schwieriger bewusst gegen Gentechnik in Lebensmitteln entscheiden könnten und die Biolandwirtschaft leiden könnte. Die neuen Gentechnikverfahren sollen jedoch bei Öko-Lebensmitteln nicht eingesetzt werden dürfen. Um eine Koexistenz sicherzustellen, sollen die EU-Länder laut Kommission Maßnahmen beschließen, beispielsweise einen gewissen Abstand zwischen Feldern.

Bevor die Vorschläge Realität werden können, müssen die EU-Staaten und das Europaparlament noch einen Kompromiss aushandeln. Aus den Ampel-Parteien waren bislang unterschiedliche Töne zu hören. Politikerinnen und Politiker der Grünen und SPD sehen Lockerungen kritisch, während sich Vertreterinnen und Vertreter der FDP eher die erwarteten Vorteile der lockereren Regeln betonen.

Geplante Lockerung von Gentechnik-Regeln: Sinnvoll oder gefährlich?

Gentechnisch veränderte Lebensmittel - bei diesem Gedanken ist vielen Menschen in Deutschland unwohl. Nun hat die EU-Kommission vorgeschlagen, Regeln dazu zu lockern. Dies könnte dazu führen, dass bestimmte gentechnisch veränderte Lebensmittel auch ohne spezielle Prüfung und ohne Kennzeichnung den Weg auf den Markt finden. Hier ein Überblick:

Sind die Methoden sicher?

Daran gibt es laut Forschenden keinen begründeten Zweifel. Nicolaus von Wirén vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik etwa betonte, dass den vorgeschlagenen Zulassungskriterien langjährige Erfahrung und Erkenntnisse zugrunde lägen, und von solchen Mutationen, die auch natürlich entstehen könnten, kein erhöhtes Risiko für Mensch und Umwelt ausgehe. Zudem unterliege jede neue Sorte weiter der gesetzlich geregelten Sortenprüfung und -zulassung, sagte er. Sprich: Komplett ungeprüft kommen auch künftig gentechnisch veränderte Pflanzen nicht auf den Markt.

Wie sind Gentechnikverfahren bisher geregelt und was ist neu?

Unter das EU-Gentechnikrecht fallen unter anderem Methoden, bei denen artfremde Gene in eine Pflanze eingebracht werden - etwa Gene aus einem Bakterium in Mais. Diese sogenannte Transgenese fällt unter die strengen Zulassungsregeln und muss deklariert werden. Zudem zählt dazu ein Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung, das in der Praxis mehrere Jahre dauert. Das soll auch weiterhin der Fall sein. Ausgenommen sollen künftig gentechnisch veränderte Pflanzen werden, die auch durch herkömmliche Methoden wie Auslese oder Kreuzung hätten entstehen können. 

Was würden die Änderungen für Verbraucher bedeuten?

Sie könnten künftig nicht mehr auf den ersten Blick erkennen, ob sie durch Gentechnik-Verfahren veränderte Lebensmittel essen würden. Deswegen kritisiert etwa der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) das Vorhaben der Kommission. «Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission steht diese Wahlfreiheit auf dem Spiel», sagte Michaela Schröder vom VZBV.

Produkte, in denen gekennzeichnete gentechnisch veränderte Pflanzen verarbeitet sind, haben in Deutschland im Verkauf derzeit keine Bedeutung. Indirekt landet Gentechnik auch jetzt schon auf unseren Tellern. «Keine Kennzeichnungspflicht besteht für Produkte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden», heißt es auf der Internetseite das Landwirtschaftsministerium.

Zudem sind bestimmte Methoden, bei denen etwa genetische Veränderung durch Bestrahlung oder Chemikalien vorgenommen wird, bereits jetzt teils von der Regulierung und Kennzeichnung nach Gentechnikrecht ausgenommen. «Auch wenn die Methode brutal klingt, ist das klassische Zucht», betonte die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Carina Konrad.

Welche Vorteile kann diese neue Gentechnik bieten?

Viele Forscher sehen enormes Potenzial: So besteht die Hoffnung, etwa eine Weizensorte zu entwickeln, die gegen die Pilzkrankheit Mehltau resistent ist. Aber auch stressresistente Maispflanzen oder Allergen-freie Erdnüsse sind denkbar. Befürworter erhoffen sich auch positive Effekte durch besonders widerstandsfähige Pflanzen mit Blick auf Hunger und Klimakrise.

Derzeit seien weltweit mehr als 100 potenziell marktfähige Ansätze bekannt, bei denen Pflanzen mit der Genschere verändert worden seien, so die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Diese Pflanzen böten Vorteile für eine pestizidarme und ressourcenschonende Landwirtschaft. Als Beispiele genannt werden etwa Sojabohnen mit gesünderen Fettsäuren, länger lagerfähige Kartoffeln sowie pilzresistente Sorten von Wein und Kakao.

Die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO schreibt in einem aktuellen Bericht, dass Gentechnik effizientere und präzisere Verbesserungen ermögliche als viele frühere Züchtungsmethoden. Mehrere Europaabgeordnete der Union bezeichneten die Vorschläge als Möglichkeit, die Pflanzenzüchtung zu revolutionieren.

Welche Gefahren bestehen für die Umwelt?

Der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling warnt davor, dass es in anderen Teilen der Welt durch gentechnisch veränderte Pflanzen zu einem größeren Pestizideinsatz gekommen ist. Matin Qaim von der Uni Bonn sieht das differenzierter, da es mit Blick auf den Einsatz von Mitteln gegen Insekten durchaus Reduktionen gebe. Die Steigerung des Einsatzes von Pestiziden gegen Unkräuter sei darauf zurückzuführen, dass Pflanzen eine Resistenz gegen Unkrautvernichter erhalten hätten.

Der Professor für Agrarökonomie betont: «Nicht alle Merkmale senken den Pestizideinsatz.» Aber welche Merkmale wie eingesetzt Nachhaltigkeit fördern könnten, sei eine wichtige Frage, die weiter untersucht werden müsse. «Dabei hilft aber die Tabuisierung der Gentechnik nicht weiter.»

Bekommen Großkonzerne zu viel Macht über die Lebensmittelproduktion?

Auch hier gehen die Meinungen auseinander. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch betonte, es drohten Patente auf Pflanzen und deren Konzentration in den Händen weniger Großunternehmen. Das würde Landwirte in die Abhängigkeit einiger Großkonzerne treiben. Vonseiten der Kommission heißt es, man sei sich bewusst, dass ein ausgewogener Rahmen geschaffen werden müsse, der Landwirten und Züchtern den Zugang zu patentierten Verfahren und Materialien erleichtere. Es brauche Saatgutvielfalt zu erschwinglichen Preisen. 2026 soll ein Bericht vorgestellt werden, der sich unter anderem mit diesen Sorgen beschäftigt. (dpa)


 

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