Kalorien auf Speisekarten – Politische Diskussion um Energiewerte in Restaurants entbrannt

| Politik Politik

Wer ins Restaurant geht, möchte genießen oder einfach schnell satt werden. Doch wollen sich Gäste bei der Auswahl der Gerichte Gedanken über den Kaloriengehalt? Über die Auszeichnung der Energiewerte wurde jetzt eine politische Diskussion losgetreten. Das Ernährungsministerium prüft verpflichtende Angaben. Gegner bringen sich in Stellung.

Wer ins Restaurant geht, möchte sich verwöhnen lassen - oder einfach schnell satt werden. Doch wollen sich Gäste bei der Auswahl von Fisch, Fleisch oder Nudeln Gedanken machen über den Kaloriengehalt? Haben sie Lust, Energiewerte auf der Speisekarte zu studieren und sich gegen Kalorienbomben zu entscheiden?

In England glaubt die Regierung, dass Kalorien-Angaben auf der Karte im Kampf gegen das grassierende Übergewicht helfen. Seit April müssen größere Ketten dort diese Zahlen im Menü ausweisen. In Deutschland gibt es diese Pflicht nicht. Aber Berlin prüft, ob sie Sinn macht. Die Gegner der Kalorien-Listen im Lokal protestieren schon im Vorfeld.

Das reine Kalorienzählen werde von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen als Methode zum Fördern der gesunden Ernährung schon «seit Jahrzehnten als Humbug abgetan», warnt etwa die als Köchin bekannt gewordene Sarah Wiener (59). «Ich habe das Gefühl, bei derartigen Vorschlägen wird immer noch so getan, als wären Menschen Otto-Motoren: Kraftstoff rein, Energie raus. Ernährung ist aber wesentlich komplexer», sagt die Unternehmerin und österreichische Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament.

Mit anderen Worten: Wem und wofür hilft es bei der Auswahl auf der Speisekarte zu lesen, dass mancher Salat kalorienmäßig schwerer wiegt als einige Pasta-Gerichte?

«Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) prüft derzeit, ob eine verpflichtende Angabe der Kalorien in der Außer-Haus-Verpflegung möglich und sinnvoll ist», erläutert eine Sprecherin des Ministeriums mit Blick auf das britische Modell. Dazu müssten die rechtliche Umsetzbarkeit ebenso untersucht werden wie die praktischen Aspekte für Verbraucher und Unternehmen. «Eine Bewertung kann deswegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgen.»

Anders als im Lokal sind in Deutschland die Pflichten für den Handel bereits eingeführt: Essen in Fertigverpackungen wird im Laden mit Kalorien-Angaben ausgezeichnet. Egal ob Chips, Quark oder Marmelade, auf der Ware stehen meist klein gedruckt die Nährwertangaben. Diese Pflicht ist Teil der Lebensmittelinformationsverordnung der Europäischen Union (EU).

Die Verbraucher sollen damit die Chance haben, bewusst auszuwählen. Das wiederum soll helfen, Übergewicht, Adipositas (Fettleibigkeit) und andere Krankheiten wie Diabetes in der Gesellschaft zurückzudrängen. Dieses Argument spielte auch in England bei neuen Speisekarten-Regel eine Rolle.

In Deutschland stufen Fachleute rund zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen als übergewichtig ein. Zugleich sind Kalorien-Angaben in Lokalen bisher freiwillig - und selten. Einige Ketten nennen sie zum Beispiel in ihren Internet-Auftritten. Verbraucher können sich damit vor dem Besuch schlau machen: Ein «Big Mac» von McDonald's hat rund 500 Kilokalorien, wie man dort lesen kann. In einem Block-House-Restaurant kommt ein «Mr. Rumpsteak» ohne Beilagen demnach auf etwa 350 Kilokalorien. Für Erwachsene gilt, stark vereinfacht, ein Bedarf um die 2000 Kilokalorien am Tag als Regel.

«Wir stellen unseren Gästen die Allergene und Nährwerte der Block-House-Gerichte seit gut zehn Jahren zur Verfügung», berichtet Markus Gutendorff, Vorstand der Block House Restaurantbetriebe AG, zu den Internet-Infos. «Tatsächlich haben wir in den Block-House-Restaurants kaum Anfragen zu den Energie- und Nährwerten unserer Gerichte.» Wobei eine Sprecherin erläutert, dass die Webseiten der Steakhaus-Kette aus Hamburg gut genutzt würden.

Freiwillige Netz-Infos sind das eine - ein gesetzlicher Zwang zu Energiewerten auf Karten wäre aus Sicht des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) der falsche Weg. «Der Dehoga spricht sich deutlich gegen die verpflichtende Angabe von Kalorien auf Speisekarten in heimischen Restaurants aus», stellt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes, klar. «Das neue Gesetz ist in Großbritannien umstritten - und das nicht ohne Grund.»

Für sie ist das Konzept kein geeignetes Mittel im Kampf gegen Übergewicht. «Das alleinige Zählen von Kalorien ersetzt keine ausgewogene gesunde Ernährung und Bewegung», führt Hartges aus. Sie verweist auf Erfahrungen im Handel: «Es ist bekannt, dass Kunden im Supermarkt trotz der Angaben zu Lebensmitteln greifen, die besonders hohe Kalorien aufweisen.» Zudem führt der Verband die Mehrarbeit für Lokale an: «In unserer Branche geht es um Genuss. Man stelle sich den bürokratischen Aufwand für die Betriebe vor mit zum Teil täglich wechselnden Angeboten, die für jedes Gericht die Kalorien für die einzelnen Zutaten in der jeweiligen Menge berechnen müssten.»

Der Verband weist sowohl auf gesundheitliche Aspekte als auch auf potenzielle Mehrarbeit in der Branche hin. «Die Angabe von Kalorien für jedes Gericht auf der Speisekarte geht an der Praxis vorbei, es gibt keine relevante Nachfrage», erläuterte Hartges. Die Angabe von Energiewerten sei zudem kein geeignetes Mittel gegen Übergewicht in der Gesellschaft: Das alleinige Zählen von Kalorien ersetze keine ausgewogene gesunde Ernährung und Bewegung.

«Schon heute müssen unsere Betriebe bei der Gestaltung ihrer Speisekarten zahlreiche Vorschriften wie die Allergenkennzeichnungspflicht oder die Deklaration von Zusatzstoffen beachten. Die Speisekarte muss lesbar bleiben», forderte sie.

Ähnlich argumentiert Antje Gahl, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn: «Kalorien-Angaben auf Speisekarten stehen aus unserer Sicht nicht im Fokus, wenn es um gesunde Ernährung geht.» Das Zählen der Energiewerte könne wichtig sein, wenn stark übergewichtige Menschen im Rahmen einer Therapie gezielt Kalorien reduzieren müssten. Aber im Alltag, auch beim Restaurantbesuch, zähle ein viel breiteres Verständnis, etwas Gesundes zu essen: Es gehe um Genuss, Geschmack, Qualität, Frische, Vielfalt, Ausgewogenheit, Freude beim Essen in angenehmer Atmosphäre.

In ausgewählten Bereichen sei das Kochen mit der Kalorientabelle umsetzbar - aber nicht überall. «Denn dazu müsste nach exakten Rezepturen immer genau gekocht werden.» In kleineren Restaurants und in der gehobenen Gastronomie könnte so die Kreativität von Köchin oder Koch leiden, sagt die Ernährungsfachfrau. «Er kann dann seine Rezepte nicht nach Gefühl verfeinern, etwa mit Sahne oder einem Schuss Alkohol, weil sich dann der Kaloriengehalt ändert.»

Sarah Wiener: Kalorien auf Speisekarten sind überholtes Denken

Im Kampf gegen ungesunde Ernährung hauptsächlich auf Kalorien zu schauen, ist nach den Worten von Kochstar Sarah Wiener der falsche Weg. Manche Kalorienbombe könne sogar eine gesunde Wahl beim Essen sein, Nüsse mit ihren Vitaminen und Spurenelementen etwa: «Die Menge macht’s. Jeder, der schon einmal eine Handvoll Nüsse geknabbert hat, weiß, davon wird man ziemlich schnell und nachhaltig satt. Ausgewogenheit ist also ein weiteres Schlüsselwort», sagte die 59-jährige Wiener der Deutschen Presse-Agentur. Auch deshalb hält die österreichische Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament wenig von Kalorien-Angaben auf Speisekarten, wie sie in England in größeren Lokalen und Ketten jetzt Vorschrift sind.

«Ich habe das Gefühl, bei derartigen Vorschlägen wird immer noch so getan, als wären Menschen Otto-Motoren: Kraftstoff rein, Energie raus. Ernährung ist aber wesentlich komplexer», erläuterte die langjährige TV-Köchin mit Blick auf das britische Konzept.

«Im Gegensatz zu einem leeren Tank ist unser Darm nämlich nicht unbewohnt. Er wird von unzähligen Mikroorganismen bevölkert, die nicht nur verarbeiten, was man ihnen hinwirft, sondern auch unser Immunsystem und unseren Stoffwechsel unterstützen», sagte die Lebensmittel-Unternehmerin. «Die Schlussfolgerung: Wer seine Mitbewohner gut und vielfältig nährt, bleibt gesund und kurbelt den Stoffwechsel an.» Wichtig sei ein vielfältiger, frischer Speiseplan. Auch der Grad der Verarbeitung der Nahrungsmittel spielt nach ihrer Überzeugung eine Rolle. Unverarbeitete, vollwertige, natürliche und vielfältige Lebensmittel seien wichtig.

In England trat im April die Vorgabe in Kraft, nach der Ketten, Restaurants und Cafés mit mindestens 250 Beschäftigten auf ihren Karten angeben müssen, welches Gericht wie viele Kalorien hat. In Deutschland hat das Ernährungsministerium nach eigenen Angaben derartige Konzepte noch nicht abschließend bewertet.

Wie Kalorienangaben zustandekommen

Welchen Brennwert hat ein Apfel? Wer das im Internet recherchiert, bekommt eine präzise Antwort: 52 Kilokalorien pro 100 Gramm. Schokoriegel? 556 Kilokalorien pro 100 Gramm. Aber wie entstehen solche Werte?

Grundsätzlich lässt sich der Energiegehalt von Lebensmitteln mit einem speziellen Verfahren bestimmen - genutzt werden dabei sogenannte Bombenkalorimeter. Das sind Behälter mit einer Brenn- und einer umgebenden Wasserkammer. Darin verbrennt man das zu untersuchende Lebensmittel vollständig und unter Sauerstoffüberdruck. Der sogenannte physikalische Brennwert lässt sich aus dem Temperaturanstieg des Wassers ableiten.

In der Nährwerttabelle auf der Verpackung von Lebensmitteln ist allerdings nicht der physikalische, sondern der sogenannte physiologische Brennwert angegeben. Denn anders als im Labor kann nicht jeder Stoff im menschlichen Körper komplett verbrannt werden. Da aber die physiologischen Werte zum Beispiel für Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate bekannt sind, lässt sich der physiologische Brennwert von Lebensmitteln - abhängig von ihrer Zusammensetzung - berechnen. So dürften aus Expertensicht heutzutage die meisten Kalorienangaben auf Lebensmitteln zustande kommen.

«Es handelt sich bei Kalorienangaben in aller Regel um Durchschnittswerte, die nur der groben Orientierung dienen können», sagte Ernährungswissenschaftlerin Esther Schnur von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Der tatsächliche Wert, den etwa ein Apfel aufweise, könne natürlichen Schwankungen unterliegen und durch verschiedene Faktoren beeinflusst sein: zum Beispiel vom Nährstoffgehalt des Bodens, auf dem der Apfelbaum stand, oder von der Apfelsorte. Oder ob die Frucht an der Nord- oder Südseite des Baumes gewachsen ist. Noch schwieriger würden Kalorienangaben bei veränderlichen Rezepturen, etwa in Restaurants.


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Praxen seien als «Verfolgungsbehörden der Arbeitgeberverbände denkbar ungeeignet», schimpft der Präsident des Kinderärzteverbandes. Er verlangt, Ärzte bei Attesten und Bescheinigungen zu entlasten.

Für die Zeit der Fußball-EM hat das Bundeskabinett eine sogenannte „Public-Viewing-Verordnung“ beschlossen. Sie ermöglicht den Kommunen, Ausnahmen von den geltenden Lärmschutzregeln zuzulassen. Vergleichbare Verordnungen hatte es bereits bei früheren Fußball-Welt- und Europameisterschaften gegeben.

Die Institutionen der Europäischen Union haben sich am 15. März im sogenannten Trilog-Verfahren auf eine Verpackungs- und Verpackungsabfallverordnung (Packaging and Packaging Waste Regulation - PPWR) geeinigt. Der Umweltausschuss (ENVI) und das Plenum des Europäischen Parlamentes werden die Einigung voraussichtlich noch im April annehmen.

Einigung im Tarifstreit zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL: Insbesondere bei der 35-Stunden-Woche macht der Konzern weitgehende Zugeständnisse. Weitere Streiks sind damit vom Tisch.

Der Bundesrat hat in seiner heutigen Sitzung dem Wachstumschancengesetz zugestimmt und damit einen Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat vom 21. Februar 2024 bestätigt. Der DEHOGA stellt klar, dass aus Sicht des Verbandes die Inhalte des Wachstumschancengesetzes nicht ausreichen.

Arbeitgeber sollen die Bedingungen ihrer Arbeitsverträge nach dem Willen der Ampel-Koalition künftig nicht mehr in Papierform mit Unterschrift an künftige Mitarbeiter aushändigen müssen. Ein entsprechender Passus soll in den Gesetzentwurf zur Bürokratieentlastung eingefügt werden.

Vor dem Hintergrund des schwierigen Konjunkturumfelds und einer hartnäckigen Schwächephase des deutschen Mittelstandes mahnt die Arbeitsgemeinschaft (AG) Mittelstand​​​​​​​ von der Wirtschaftspolitik dringend Maßnahmen zur Stärkung der Wachstumskräfte an.

Die Bürokratie in Deutschland ist immens. Die Bundesregierung kündigt mit großen Worten eine Entrümpelung an. Der DEHOGA sagt: Das reicht noch lange nicht. Der Verband sagt, dass insgesamt immer noch viel zu wenig Bürokratieentlastung im Betriebsalltag der Unternehmen ankomme.

Bund und Länder haben sich, wie insbesondere von den Steuerberatern gefordert und vom DEHOGA unterstützt, auf eine letztmalige Fristverlängerung für die Schlussabrechnung bei den Coronahilfen bis Ende September 2024 geeinigt, sofern eine Fristverlängerung bis zum 31. März 2024 beantragt und bewilligt wurde.

In Berlin arbeiten viele Menschen unter prekären Bedingungen, sagen Fachleute. Häufig nutzen ihre Chefs schamlos aus, dass sie kein Deutsch sprechen oder sich illegal hier aufhalten. Einen Schwerpunkt dabei bilde laut Hauptzollamt das Gastgewerbe.