Neues Infektionsschutzgesetz: Verfassungsbeschwerden vorprogrammiert

| Politik Politik

Die Bundesregierung will in Rekordzeit ein neues Infektionsschutzgesetz durch den Bundestag pauken, das keine Entschädigungen für wegen einer Pandemie geschlossene Wirtschafszweige vorsieht. DEHOGA-Chefin Ingrid Hartges hält das für verfassungswidrig. Klare Ansage aus Berlin: „ Wenn das Gesetz so kommt und keine Entschädigungen vorsieht, werden wir mit einem Unternehmen stellvertretend für die ganze Branche eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen.“

Konkret geht es um den Entwurf eines „Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ in dem auch die Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten im Falle einer Pandemie geregelt werden. Weitere Punkte sind unter anderem die Untersagung oder Beschränkung des Betriebs gastronomischer Einrichtungen sowie Reisebeschränkungen.

„Es ist völlig inakzeptabel, dass hier jetzt eine Rechtsgrundlage für Schließungen unserer Betriebe geschaffen werden soll, ohne dass eine Regelung zur sachgerechten und notwendigen Entschädigung getroffen wird. Ich erwarte, dass dieses Gesetzgebungsverfahren gestoppt wird oder, zumindest kurzfristig, eine Entschädigungsregelung in den Gesetzentwurf aufgenommen wird“, so Hartges

In der Sendung n-tv-Frühstart, sagte Hartges, dass wenn der Gesetzgeber vor der zweiten und dritten Lesung am 18. November keine Korrekturen vornehme, seien Verfassungsbeschwerden vorprogrammiert. Derzeit bestätigen deutschlandweit Verwaltungsgerichte den aktuellen Teil-Lockdown im Gastgewerbe oft nur mit Verweis darauf, dass Entschädigungsleistungen für November zugesagt sind. Gegenüber Tageskarte bekräftigte Hartges, dass der DEHOGA mit einem Unternehmen eine höchstrichterliche Klärung vor dem Bundesverfassungsgericht anstrebe, sollte das neue Infektionsschutzgesetz keine Entschädigungen vorsehen..

Führende Juristen üben ebenfalls Kritik

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papierbezeichnete den Gesetzentwurf als „Persilschein“ für die Bundesregierung, da Abwägungsentscheidungen zwischen Gesundheitsschutz und Freiheitsrechten vom Parlament in vollem Umfang an die Exekutive delegiert würden. Explizit unterstützt er unsere Haltung hinsichtlich notwendiger Entschädigungsleistungen: "Ich vermisse eine gesetzliche Regelung des finanziellen Ausgleichs etwa für Unternehmen und Selbstständige, soweit sie mit einem Öffnungs- oder Betätigungsverbot belastet werden, egal ob ihre Tätigkeit ein erhöhtes Infektionsrisiko begründet."

Der frühere Landesinnenminister von Schleswig-Holstein Prof. Dr. Hans Peter Bullerklärte, dass der Staat verpflichtet sei, Unternehmen für ihre Sonderopfer zu entschädigen: „Dies gilt auch, wenn die staatlichen Eingriffe von den Gerichten für rechtmäßig gehalten werden. Denn auch rechtmäßige Maßnahmen begründen einen Ausgleichsanspruch, wenn sie – wie hier – Einzelne oder Gruppen ungleich treffen.“ Es sei erstaunlich, dass dieser Aspekt in der politischen Diskussion über die Hilfeleistungen für die Wirtschaft bisher kaum berücksichtigt worden sei.

Der frühere langjährige Vize-Chef der Unions-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach bestätigt diese Sicht: Selbst wenn man diese Art von Lockdown für zwingend notwendig halte, wäre eine klare gesetzliche Entschädigungsregelung aus seiner Sicht zwingend: „Wir sprechen hier ausdrücklich und ausschließlich von Betrieben, die sich komplett gesetzeskonform verhalten haben und denen – im Gegensatz zu anderen Branchen  - unbestritten ein Sonderopfer abverlangt wird. Aus gesellschaftlicher Verantwortung.“

Kritik auch aus der Hotellerie

„Wir haben momentan echte Bedenken, dass wir nicht mehr wissen, was die Politik genau macht“, formuliert Hotelier Rolf Seelige-Steinhoff, Inhaber der Seetel-Gruppe, und spricht in einem Video über das Infektionsschutzgesetz und sagt: „Jetzt will uns die Politik auch fast noch zwangsenteignen“. Er habe das Gefühl, dass sich in einigen Punkten die Politik entfernt habe: „Wir fühlen uns momentan verlassen“. Er gehe nun wieder mit siebenstelligen Beträgen in Vorkasse und wisse gar nicht mehr, wo man das ganze Geld mittelfristig herholen solle. Seelige-Steinhoff fordert konsequentes Handeln von der Politik mit festen Vorgaben und Entschädigungen und nicht, dass die Branche für die Fehler Dritter abgestraft werde. Rolf Seelige-Steinhoff ist Inhaber der Seetel-Gruppe, die 16 Hotels auf der Insel Usedom betreibt.

Romantik-Chef Thomas Edelkamp spricht in einem Facebook-Post die geplanten Novemberhilfen an und wirft der Politik völliges Unvermögen vor: "Wir bewegen uns hier in einem Verwaltungsapparat, in dem scheinbar kein Gespür dafür vorhanden ist, welche Notlage inzwischen in unserer Branche herrscht. Es gibt keinen Grund dafür, warum Abschlagszahlungen auf die groß angekündigten Novemberhilfen nicht längst geflossen sind. Nach zwei Wochen darauf zu verweisen, dass Hilfen ab Monatsende fließen sollen, ist entweder nur noch mit totaler Ignoranz oder mit völligem Unvermögen zu erklären. Das Versagen der Politik ist eklatant. Und wenn jetzt über ein neues Infektionsschutzgesetz Hoteliers und Gastronomen auch noch den Anspruch auf Entschädigungen verlieren sollen, dann wird diese Regierung bald jeglichen Rückhalt im Gastgewerbe verlieren. Einer Branche, die sich in der Pandemie bislang vorbildhaft verhalten hat."


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) plant neue Richtlinien für ihre Ernährungsempfehlungen und will den Deutschen offenbar eine Einschränkung des Fleischkonsum nahelegen. Nachdem Markus Söder von Verboten gesprochen hatte, wurde Ernährungsminister Cem Özdemir bei „Lanz“ deutlich.

Booking Holdings Inc. wird Berichten zufolge voraussichtlich eine Kartellwarnung der EU wegen eines Angebots über 1,63 Milliarden Euro für die in Schweden ansässige Etraveli Group erhalten. Eine endgültige Entscheidung sei jedoch noch nicht gefallen. 

Die Deutsche Bahn will im Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft EVG vorerst nicht nachlegen. Die EVG müsse jetzt signalisieren, dass sie sich von ihrer Ursprungsforderung in Richtung Kompromiss bewege, so Personalvorstand Martin Seiler.

Hoher Aufwand, schwierige Umsetzung, mangelnde Flexibilität: Ein Großteil der deutschen Unternehmen sieht die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung kritisch und fordert vom Gesetzgeber umfassende Verbesserungen.

Im Bremer Gastgewerbe hat es in einer dritten Tarifverhandlungsrunde am Donnerstag keine Einigung gegeben. Für die Beschäftigten fordert die Gewerkschaft NGG Bremen-Weser-Elbe 15,5 Prozent mehr Lohn. Der Dehoga Bremen bietet, nach eigenen Angaben, 10,4 Prozent mehr Lohn.

Tübingen hat es vorgemacht - folgen nach einem Grundsatzurteil nun andere Städte und Gemeinden mit einer Verpackungssteuer? Zumindest gab es in Mannheim, Karlsruhe oder Freiburg bereits entsprechende Überlegungen.

Am 31. Mai 1953 ging unter dem Vorsitz des Wiener Hoteliers Leopold Nedomansky die Gründungsversammlung der Österreichischen Hoteliervereinigung​​​​​​​ in Innsbruck über die Bühne. 70 Jahre später hat der Verband nun 1.700 Mitglieder.

Die Stadt Tübingen geht mit einer Verpackungssteuer auf eigene Faust gegen Vermüllung durch Einwegbecher und Essensverpackungen vor. Dafür hat sie jetzt Bestätigung vom Bundesverwaltungsgericht erhalten. Die Betreiberin einer McDonald’s Filiale in Tübingen hatte dagegen geklagt.

Die Stadt Tübingen geht mit einer Verpackungssteuer auf eigene Faust gegen Vermüllung durch Einwegbecher und Essensverpackungen vor. Dafür hat sie jetzt Bestätigung vom Bundesverwaltungsgericht erhalten. Die Betreiberin einer McDonald’s Filiale in Tübingen hatte dagegen geklagt.

Im Streit um lokale Übernachtungssteuern mit dem Freistaat gibt sich die Landeshauptstadt noch nicht geschlagen. Sie zieht vor Gericht. Es geht ihr nicht nur um Mehreinnahmen von bis zu 80 Millionen Euro.